Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Nein, ich wollte Sie fragen, ob schon bekannt ist, wer Hubertus Rettenstein beerbt?«
Viberti zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Da müssen Sie Rettensteins Anwalt fragen. Die Kanzlei von Avvocato Romagnosi finden Sie in der Via Mandelli. Am besten lassen Sie sich vorher einen Termin geben. Aber ich bezweifle, dass er Ihnen eine Auskunft erteilen wird. Falls sich allerdings unser Verdacht bestätigt …«
Beim Wörtchen »unser« musste Hipp leise schmunzeln.
»… werde ich als Leiter der Sonderkommission offiziell Akteneinsicht beantragen. So lange müssen wir uns wohl gedulden. Und die zweite Frage?«
»Als ich Maria Battardi traf, trug sie Trauerkleidung. Sie sagte, dass vor kurzem ihr Mann verstorben sei. War er krank, oder ist was passiert?«
»Ildefonso Battardi, er ruhe in Frieden. Nein, er war nicht krank. Er ist erschossen worden, bei der Trüffelsuche. Vermutlich ein Jagdunfall. Sie müssen wissen, Ildefonso war der beste und berühmteste Trifolao unserer Region. Sein Tod ist ein großer Verlust.«
»Erschossen? Ein Jagdunfall?«
Viberti hob abwehrend die Hände. »Dottore, bitte zügeln Sie Ihre Phantasie. Keine neue Theorie! Ich kann nicht zwei Sonderkommissionen zur selben Zeit leiten. Erst recht nicht zur Trüffelzeit, impossibile. Ildefonso ist ziemlich sicher einem Jagdunfall zum Opfer gefallen, so etwas kommt leider immer wieder vor. Vor allem in Asti. Die Jäger dort sind lausige Schützen. Natürlich ermitteln wir. Dazu verpflichtet uns nicht nur das Gesetz, das sind wir auch der armen Maria schuldig.«
»In Asti? Dort hat Marias Mann nach Trüffeln gesucht?«
»Perchè no? Dort gibt es schöne Wälder.«
»Nun, ich habe keinen Grund, den Jagdunfall in Zweifel zu ziehen.« Hipp machte eine nachdenkliche Pause. »Wie hat man sich eigentlich so eine Trüffelsuche vorzustellen?«, fragte er.
»Sie interessieren sich für die Trüffelsuche? Perfetto, Sie müssen wissen, das ist eine hohe Kunst. Natürlich könnte ich Ihnen viel dazu erzählen, sehr viel, aber besser noch, Sie fragen Marias Bruder Carlo. Mit ihm können Sie sich auch gut über Weine unterhalten, ihm gehört eine Enoteca in Neive*. Außerdem hat er einen Tesserino, eine staatliche Lizenz zum Trüffelsuchen. Vielleicht nimmt er Sie mal mit? Das ist ein schönes Erlebnis. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht erschossen werden!«
Hipp grinste. »Vielen Dank. Ich werde mich bemühen. Schließlich können Sie nicht drei Sonderkommissionen leiten!«
Der Maresciallo hob sein Grappa-Glas und stieß mit Hipp an. »Da haben Sie völlig recht. Jedenfalls nicht gleichzeitig und nicht zur Trüffelzeit!«
12
W enn Amedèo Steinknecht in Parma* ungestört nachdenken wollte, dann verabschiedete er sich im Büro und ging spazieren. Über die Strada Garibaldi, durch die Torbögen des mächtigen Palazzo della Pilotta mit seinen Museen und dem großartigen Teatro Farnese, über den Ponte Verdi zum Parco Ducale. Hier konnte er sich auf eine Bank setzen, die Enten auf dem kleinen See beobachten – und seine Gedanken schweifen lassen.
Waren die Probleme, die es zu reflektieren galt, von schwerwiegender Natur, dann suchte er gewöhnlich einen Friedhof auf und ging zwischen den Grabsteinen spazieren. Das hatte er schon immer so gemacht, als kleines Kind in Wien auf dem Zentralfriedhof, später in Venedig auf der unvergleichlichen Friedhofsinsel San Michele. Er hatte überall seine Lieblingsplätze.
Seine musikbegeisterten Eltern hatten ihm den Vornamen Amadeus gegeben. Weil er schon so lange in Italien lebte, war daraus Amedèo geworden.
Heute war er zum Cimitero della Villetta gefahren. Der Friedhof gefiel ihm schon deshalb, weil hier der gottlose Teufelsgeiger Niccolò Paganini beerdigt war. In seiner Geburtsstadt Genua hatte man seinen Sarg abgelehnt, in Parma aber war sein Leichnam willkommen gewesen. An ihn erinnerte ein kleiner Tempel mit goldener Kuppel. Darunter eine Büste des Maestro. Sehr schön auch der Adler mit einer Violine im Schnabel und einem Geigenbogen in der Kralle. Neben Paganinis letzter Ruhestätte lud der flache Grabstein der Famiglia Campanini dazu ein, selbigen als Sitzbank zu entehren und zu meditieren. Ein idealer Platz, um über den Sinn des Lebens nachzudenken, die Vergänglichkeit des Daseins immer vor Augen und Paganinis virtuoses Geigenspiel gleichsam im Ohr.
Steinknecht fragte sich, wie er die Zeitspanne, die ihm bis zum eigenen Dahinscheiden blieb, am erfolgreichsten gestalten konnte. Sollte er sich
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