Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
denke schon. Vielen Dank für die Personenbeschreibung.«
»Ich hoffe, es war kein Fehler, dass ich ihr den Schlüssel …?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Aber Sie haben recht, den Zettel mit Ginas Adresse sollte ich besser wegstecken.«
Dass es Sabrina war, die ihn erwartete, war ihm klar. Hipp ging an die Hotelbar und bestellte ein Bier. Es gab Momente, da war ihm ein Bier lieber als der beste Wein. Er hatte sich auf die Ruhe in seinem Zimmer gefreut, hatte nachdenken wollen und hatte vorgehabt, die kopierten E-Mails von Rettensteins Computer zu lesen. Dann morgen bis Mittag schlafen. Und erst im Anschluss überlegen, was er als Nächstes machen würde. Er hatte keinen Auftrag, der ihn drängte. Er war aus eigenem Antrieb hier. Und er wollte selbst entscheiden, wie er die Nacht verbrachte. Sicher, er mochte Sabrina, sehr sogar. Und hätte sie ihm vorher gesagt, dass sie kommen würde, er hätte sich darauf gefreut, den Termin mit Carlo abgesagt und wäre mit ihr nett zum Essen gegangen. Aber ihn überraschen? Er hatte weder Geburtstag, noch war Weihnachten.
Hipp ließ sich Zeit, bestellte ein zweites Bier, dachte über Rettenstein nach, über die merkwürdigen Umstände seines Todes. Es wurde Zeit, dass sich der Maresciallo mit den Untersuchungsergebnissen meldete. Konnten in der Küche wirklich Blutspuren und Splitter einer Flasche gefunden werden? Was war mit Sulawesi passiert? Wo waren der oder die Drohbriefe? Dass Rettenstein ihn oder sie weggeworfen hatte, wollte er nicht glauben. Und vor allem: Wer hatte ein Motiv gehabt, ihn umzubringen? Jemand, der ihm seinen Erfolg neidete? Seine Partner in der Exportfirma für italienische Delikatessen? Ein Konkurrent? Ein betrogener Ehemann? Ob er wollte oder nicht, es fiel ihm noch jemand ein: Gina, seine Erbin!
Hipp nahm einen Schluck, stützte den Kopf in die Hand und betrachtete sinnierend das Bierglas. Und was hatte es mit Ildefonso auf sich? Warum wollte er nicht glauben, dass der Tod des Trüffelsuchers ein Unfall war? Die Antwort fiel leicht. Weil er ein misstrauischer Zeitgenosse war, der zunächst immer vom Schlimmsten ausging, der bis zum Beweis des Gegenteils hinter scheinbaren Zufällen menschliche Niedertracht vermutete, der weder glaubte, dass aus heiterem Himmel ein Regal umfiel, noch, dass ein Trüffelsucher von einem kurzsichtigen Jäger mit einem Wildschwein verwechselt wurde. Gewiss, eigentlich konnte ihm alles egal sein. Der Schuss auf Marias Ehemann allemal. Was ging ihn ein Trifolao an, den er nicht einmal gekannt hatte? Und selbst den Tod Rettensteins könnte er ignorieren – wären da nicht seine Hilferufe, die er missachtet hatte. Irgendwie fühlte er sich moralisch in Zugzwang und Rettenstein sozusagen post mortem verpflichtet. Ob er in der Toskana seine Zeit im Liegestuhl unter dem Olivenbaum verplemperte oder hier im Piemont nach dem Rechten sah, was machte es für einen Unterschied? Hier lernte er wenigstens etwas über Trüffeln. Wenn die Sonne schien, konnte er seine Giulietta oben ohne spazieren fahren. Mit etwas Glück fand er heraus, wem Hubertus Rettenstein sein vorzeitiges Ableben zu verdanken hatte. Wenn ihm langweilig wurde, konnte er sich mit dem Maresciallo treffen und sich über seine Eigenheiten amüsieren. Mit Carlo würde er auf Trüffelsuche gehen. Er würde Gina wiedersehen …
Hipp leerte das Glas und stellte es ab. Fast hatte er vergessen, dass »seine Frau« auf ihn wartete. Die Pause an der Bar hatte ihm gutgetan. Sein anfänglicher Ärger war verraucht.
21
G ina war in Bologna* geboren und aufgewachsen. Sie lebte gerne in dieser traditionsreichen Universitätsstadt mit den vielen jungen Menschen, den alten Bauten im historischen Zentrum, den ewig langen Arkadengängen, den Konzerten auf der Piazza Maggiore, den zahllosen Trattorien und Bars. Nach ihrer Meinung konnte es in Italien keine andere Stadt mit Bologna aufnehmen. Nirgendwo ließ sich so gut leben, auch mit wenig Geld. Und wenn man am Wochenende ans Meer wollte, war selbst das kein Problem. Die Strände der Adria waren gerade achtzig Kilometer entfernt. Bologna hatte viele Beinamen: La Rossa wegen der roten Ziegelbauten und Dächer; La Dotta, die Gelehrte, wegen der Universität. Gina gefiel La Grassa am besten, die Fette! Denn das gute Essen hatte in Bologna schon immer einen besonderen Stellenwert. Davon zeugte die Cucina classica mit Spaghetti bolognese, Tortellini und Tagliatelle, Bollito misto, Mortadella und Tagliata di chianina.
Sie bewohnte ein
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