Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Apartment im Westen Bolognas, von wo es nur einige Busstationen ins Zentrum waren. Und mit der Vespa auf der Via Emilia Richtung Modena konnte sie in einer guten halben Stunde ihren Arbeitsplatz erreichen. Dass auch dieser mit einer kulinarischen Spezialität der Emilia-Romagna zu tun hatte, war wohl eher ein Zufall. Über den Onkel einer Freundin hatte sie vor einigen Jahren den Job in dem Caseificio bekommen, wo der vielleicht berühmteste Käse Italiens hergestellt wurde, der Parmigiano Reggiano*. Seit jeher ist dies reine Männersache, kein Wunder bei dem Gewicht der großen Käseräder. Deshalb hatte man sie anfangs in den Verkauf gesteckt. Aber sie war weder schwach, noch hielt sie was von althergebrachten Konventionen. Und so hatte sie es geschafft, erst kleine, dann immer wichtigere Tätigkeiten in der Produktion zu übernehmen. Während die Herstellung des Hartkäses auf die Monate April bis November beschränkt war, mussten die Laibe während ihrer ganzen Lagerung einmal die Woche gewendet und gebürstet werden. Zwölf bis sechsunddreißig Monate dauerte diese Reifezeit in einer großen Halle, die in ihrer Firma »Fort Knox« genannt wurde. Gina steuerte ein gabelstaplerähnliches Spezialgerät, mit dem sie zwischen den Hochregalen hin und her fuhr, die Käselaibe heraushob, diese wendete und mit einer rotierenden Bürste bearbeitete.
Auch heute ging sie dieser Tätigkeit nach. Mit ihren Gedanken aber war sie woanders. Ihr fiel ihr toter Vater ein. Der Avvocato in Alba. Der Scheck, den sie so sehnsüchtig erwartet hatte und der heute morgen aus Alba eingetroffen war. Endlich. Gleich nach Arbeitsschluss würde sie mit ihrer Vespa zurück nach Bologna fahren und die längst fällige Zahlung leisten.
22
I n der Herbstsonne auf der Terrasse des Tornavento sitzend, musste Hipp zugeben, dass Sabrinas Überraschungsbesuch keine wirklich schlechte Idee war. Sie hatten es unchristlich lange im Bett ausgehalten, hatten an der Piazza Savona einen Latte macchiato getrunken und waren mit der Giulietta ganz gemächlich von Alba nach Treiso* gefahren. Dass sie bei der Fahrt stillschweigend darauf verzichtet hatten, das Autoradio einzuschalten, hatte einen besonderen Grund. Sie wollten beide das Risiko vermeiden, per Zufall ein Lied von Paolo Conte zu hören. Nein, nicht deshalb, weil sie seine rauchige Stimme nicht mochten, ganz im Gegenteil. Aber speziell mit einem Stück verband Sabrina grauenvolle Erinnerungen, Erinnerungen an einen schweren Autounfall ganz hier in der Nähe, vor über einem Jahr, auf der kurvigen Straße, die von Monforte d’Alba über Castiglione Falletto nach Grinzane Cavour* führte. Ein Unfall, bei dem ihre Freundin und Cousine Eva-Maria ums Leben gekommen war. Damals hatte das Autoradio gerade ein Stück von Paolo Conte gespielt: »Via, via, vieni via con me …« Sabrina selbst hatte nur mit viel Glück überlebt. Es hatte lange gedauert, bis sie ihr Trauma überwunden hatte und sich wieder an ihr Vorleben erinnern konnte – und an die näheren Umstände des Unfalls [1] .
Der Blick, der sich von ihrem Tisch aus bot, war unvergleichlich. Oben ein strahlend blauer Himmel, unten in den Tälern ein dichter Nebelteppich, aus dem wie Inseln im Meer befestigte Dörfer und Burgen auftauchten, die auf ihren Hügelkuppen zu schweben schienen. Nach längerem Schweigen, währenddessen beide dieses unwirkliche Panorama genossen, nahm Sabrina seine Hand.
»Ich danke dir«, sagte sie.
»Wofür?«
»Dafür, dass du mir damals geholfen hast. Ohne dich wäre ich nicht mehr am Leben. Und selbst wenn, ich wüsste nicht, wer ich bin.«
»Das wissen viele Menschen nicht«, erwiderte Hipp mit einem leisen Lächeln.
»Nein, im Ernst …«
»Schon gut. Es ist vorbei, wir müssen nicht darüber reden.«
»Weißt du, dass ich seitdem nie mehr in dieser Gegend war?«
»Nein, aber ich habe es mir gedacht. Umso weniger hätte ich mit deinem Kommen gerechnet.«
»Vielleicht wollte ich mir beweisen, dass es mir nichts ausmacht?« Sabrina zögerte kurz, um dann fortzufahren: »Und tatsächlich, es macht mir nichts aus. Nun gut, es kommen Erinnerungen auf, aber ich habe keine Angstattacken, keine Schweißausbrüche, Zitteranfälle oder was auch immer. Nein, ich fühle mich gut, ich bin froh, hier zu sein, mit dir auf dieser Terrasse zu sitzen, diesen unvergleichlichen Blick zu genießen. Ich bin ruhig, bin traurig und glücklich zugleich. Ich finde, es war ein guter Einfall, dich zu besuchen.«
»Ja, das war es.
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