Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Nachdem er schon so viel von ihr wusste, hatte Gina nun auch einiges von Hipp in Erfahrung gebracht. Immerhin war ihr jetzt klar, dass er gerne lange im Bett blieb, ein ausgeprägter Morgenmuffel war, Espresso auf ziemlich nüchternen Magen trank – und zumindest im Halbschlaf keine übertriebenen Schamgefühle kannte.
Eine Stunde später nahm Hipp aktiv am Leben teil. Er war zwar unrasiert, wirkte aber frisch, strahlte eine positive Zuversicht aus und sprach in zusammenhängenden Sätzen. Amüsiert hatte Gina seine Verwandlung beobachtet.
Ob ihr noch was eingefallen sei, wollte Hipp beiläufig wissen. Nein, musste Gina zugeben. Sie habe bereits mit einer Freundin telefoniert, die sie gestern nicht habe erreichen können, aber die wisse auch nichts. Zu Ginas Überraschung schien Hipp darüber hinaus jegliches Interesse daran verloren zu haben, nach ihrem Alibi zu forschen. Sie unterhielten sich über unverbindliche Dinge, zum Beispiel über ihre Vespa, über Rimini, über ihren letztjährigen Besuch des Formel-1-Rennens in Imola. Sie erzählte von ihrer Arbeit und den besonderen Vorzügen des Parmigiano stravecchio. Außerdem erklärte sie ihm, worauf er bei der anfälligen Motorkühlung seiner Giulietta achten müsse.
Mittags spazierten sie hinauf zum Palazzo Malvezzi-Campeggi, wo Hipp in der Enoteca einige Weine verkostete. Wenn sie schon mal hier seien, könne er sich dem nicht entziehen. Oft vergesse man, dass es hervorragenden Sangiovese nicht nur in der Toskana gebe, sondern eben auch hier in der Romagna. In diesem Fall eine Cuvée mit Cabernet Sauvignon und Merlot. Hipp schwenkte den Wein im Glas und lobte den wunderbaren Duft.
Sie probierten vom Albana, einem Weißwein, der rund um Dozza angebaut wird und dem als erster Weißwein Italiens der DOCG -Status zuerkannt worden war. Aus ihm unerfindlichen Gründen, wie Hipp kritisch anmerkte. Aber im Idealfall führe die Rebe zu recht eleganten Weinen. Vom roten Gutturnio verspreche er sich in Zukunft einiges. Auch der Pignoletto habe Potenzial. Einige Flaschen habe er sogar in Rettensteins Weinkeller gesehen.
Apropos, wie sie sich denn im Haus ihres Vaters gefühlt habe, wollte er wissen, bei ihren heimlichen Besuchen, um Drohbriefe zu hinterlassen oder einen Wein zu vergiften.
Nicht so gut, räumte Gina ein. Gleichzeitig verstört und doch neugierig sei sie gewesen, voller Angst, entdeckt zu werden, und sich doch länger im Haus aufhaltend als eigentlich nötig. Einmal sei sie fast aufgeflogen. Plötzlich sei ihr Vater zurückgekommen. Offensichtlich hatte er auf der Straße beim Wegfahren jemanden getroffen. Sie habe es gerade noch geschafft, sich in einer Kammer im ersten Stock zu verstecken. Unten habe sich Rettenstein lautstark mit seinem Besucher gestritten. Verstanden habe sie leider nichts, nur dass es im weitesten Sinne um Trüffeln ging, das habe sie aufgeschnappt.
Einen Namen? Nein, einen Namen habe sie nicht verstanden, sie habe keine Ahnung, wer mit ihrem Vater im Haus war. Sie habe logischerweise auch niemanden gesehen. Aber dass es ein Mann war, ja, das könne sie bestätigen. Wie alt? Keinen blassen Schimmer! Ob sie die Stimme wiedererkennen würde? Eher nicht, aber vielleicht doch. Irgendetwas war an ihr eigenartig gewesen, leider wisse sie nicht mehr, was.
»Ottimo«, lobte Hipp einen Sangiovese von San Valentino. Das mit der Stimme interessiere ihn, da sollten sie bei Gelegenheit noch mal drüber reden. Ob ihre Mutter einen Lieblingswein habe, fragte er.
Einen Lambrusco*, antwortete Gina. Ihre Mutter habe einen einfachen Geschmack.
»Keinen einfachen Geschmack«, korrigierte Hipp. Er sei gerade dabei, den oft so gescholtenen Wein neu zu entdecken. Was denn die Ärzte davon halten würden, fragte er, ob ihre Mutter denn überhaupt Wein trinken dürfe.
»Dottoressa Menotti«, ereiferte sich Gina, diese Stupida von einer Hausärztin, habe ihrer Mutter verbieten wollen, Wein zu trinken.
»Warum Stupida?«
Weil die sehr viel besser ausgebildeten Ärzte im Sanatorium nichts gegen ein, zwei Gläser einzuwenden hätten, antwortete sie. Außerdem habe sie überteuerte Rechnungen geschrieben, bei einem Medikament die falsche Dosis angegeben, und zu allem Überfluss habe sie sie blöd angeredet.
»Wen hat sie blöd angeredet, dich oder deine Mutter?«, fragte Hipp.
»Mich!«, antwortete Gina. »Meine Mutter war im Bad umgefallen und hatte sich am Kopf verletzt. Ich habe sie abends gefunden und sofort die Dottoressa Menotti angerufen. Erst
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