Hirngespenster (German Edition)
und Nacht mit diesem Thema zu beschäftigen. Sie wusste nicht, wie viele Seiten es waren, die er gefüllt hatte, um das Arbeitsamt und später vielleicht sogar Banken zu überzeugen. Und dann musste sie klären, ob Olga ihr dabei helfen wollte, ihre Babykollektion zu nähen, und vor allem, ob sie ihr Stoffe aus Russland besorgen konnte. Vielleicht konnte sie Kontakte zur Textilindustrie aufbauen, die nach internationalen Standards produzierten. Auf alles musste geachtet werden, besonders auf Schadstofffreiheit und Farbechtheit. Die Liste war unendlich lang. Und ohne Zertifikat konnte man gar nichts herstellen.
»Mache ich, mein Schatz, mache ich alles, was du willst«, antwortete Olga, als Sabina sie bei nächster Gelegenheit fragte, ob sie sie unterstützen würde. »Kenne ich Gott und Welt in Maskwa, wird sich jemand finden, der sich auskennt mit das.« Mit ausgestreckter Hand bot sie Sabina eine Tasse Kaffee an.
»Nein, danke«, entgegnete Sabina und nahm auf einem von Olgas Küchenstühlen Platz. »Du, ich muss mich da drauf verlassen können, Olga. Wenn du mir nämlich hilfst, dann gründe ich mein eigenes Label.«
»Leybel?
»Meine eigene Marke. Ich würde mich dann auf Babyklamotten spezialisieren, genäht aus russischen Stoffen.«
»Mache ich. Gar kein Problem das.«
Okay, dachte Sabina. Wenn ich mich sogar das traue, dann kann ich Alex auch endlich küssen. Und das Treffen mit den Eltern rede ich ihm schon irgendwie aus.
Heute war mal wieder Kleideranprobe, ich bin total erledigt. Ständig musste ich etwas anderes anziehen und dann musste Johannes sagen, wie er es findet. Ich habe eine Idealfigur, sagt Sabina. Inzwischen macht sie auch Kleidung für Frauen – aber nur auf Vorbestellung. Es gibt Mütter, die wollen auch solche Kleidchen wie ihre kleinen Mädchen anhaben. Früher trug ich nur Jeans und T-Shirt, heute trage ich Kleider. Es ist aber auch komfortabler, vor allem, wenn man ins Bad muss. Und Olga näht rund um die Uhr, ich glaube, sie macht nichts anderes mehr.
»Sieht bisschen doof aus«, sagte Olga, als sie das erste Kleidchen nach Sabinas Vorgabe genäht hatte und sich das Exemplar vor den Bauch hing. »Wie Kittelschierze.«
»Das ist so gewollt, Olga, das hat man jetzt so.«
»Kenne ich niemand, der anzieht seine Kinder mit Kittelschierze«, antwortete Olga skeptisch. »Aber wenn du meinst – du bist Fachmann.«
Sabina betrachtete das Kleidchen verliebt. Es war aus dunkelgrünem Stoff und hatte kleine bunte Blumen aufgedruckt – ein traditioneller Stoff, den Olga über eine Textilfabrik besorgt hatte. Dazu gab es noch andere leichte Baumwollstoffe, die sich zu Blüschen, Röckchen und Kleidchen verarbeiten ließen. An die Zolldeklaration und den Papierkrieg mochte sie allerdings kaum mehr denken.
»Wenn du kriegst mal Kinder, brauchst du ein Mädchen. Sonst sieht schlecht aus fir der Bub«, bemerkte Olga und machte sich wieder ans Werk.
»Du kannst so gut nähen«, stellte Sabina bewundernd fest, »das ist etwas, was mir so gar nicht von der Hand geht. Obwohl ich es natürlich lernen musste – aber entwerfen liegt mir viel mehr.«
Olga winkte ab und griff unter den Tisch nach einer Tüte. »Wollte ich dich noch was fragen Sabina. Habe ich mir auch besorgt scheene Stoff fier Hose.« Aus der Tüte fischte sie einen schwarzen Taftstoff, der im Licht der Küchenlampe schimmerte. »Kannst du machen schöne Schnitt fier mich?« Olga tätschelte ihren Bauch. »Oben rum Gummizug – da ist egal, ich mache Pulli drieber. Aber Beine. Musst du dir was ausdenken, was macht schlank.«
»Das wird schwierig bei Taft, Olga. Taft trägt auf«, wandte Sabina ein.
»Aber schwarz ist! Schwarz macht schlank, heißt!«
Sabina wiegte skeptisch den Kopf. »Ich nehme Maß, und dann schauen wir mal, was ich tun kann. Einverstanden?«
Alex sah ihr über die Schulter, als sie drei Tage später über Olgas Maßen brütete. Olga hatte eine Figur wie eine kleine Tonne; ihr eine Tafthose maßzuschneidern war eine echte Herausforderung. »Wenn wenigstens ihre Beine etwas länger wären!«, seufzte sie und versuchte wieder eine andere Variante. Alex fuhr ihr zärtlich mit dem Zeigefinger zwischen den Schulterblättern entlang. »Dir wird schon was Schönes einfallen. Es wird allemal besser aussehen als die Klamotten, die sie üblicherweise anhat.«
Sabina lachte und schmiegte sich verstohlen an ihn. »Wenn du glaubst, dass mich das anspornt, dann liegst du falsch! Sie soll schon was Besonderes
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