Hirngespenster (German Edition)
unserer Kunden nicht gezahlt haben. Die Zahlungsmoral heute ist einfach beschissen. Die Hypothekenraten bei der Bank habe ich gestundet, ich hatte das abgesprochen, das ist kein großes Ding, aber irgend so ein Depp dort, ein Praktikant oder was weiß ich, der hat einen Brief rausgeschickt, eine Mahnung – und die hat Anna in die Finger gekriegt.« Er holte Luft und fuhr fort, leiser diesmal: »Deine Schwester, Silvie, ich kann dir sagen, die sieht Gespenster. Manchmal glaube ich, sie hat Wahnvorstellungen. Einmal hat sie abends ihren Kopf gegen die Scheibe gedonnert, so dass ich dachte, sie kriegt ’ne Gehirnerschütterung. Dann schrie sie rum, lief vor mir weg, als wäre ich der Übeltäter! Zum Glück lässt sie jetzt das Haareausrupfen sein, das hat sie auch gemacht, ohne auch nur das Geringste davon mitzukriegen. Und was das Geilste ist, Silvie, unsere Nachbarn denken, dass ich sie schlage.« Er tippte sich an die Stirn, als sei das das Dümmste, was er je gehört hätte. Dann puhlte er sich mit dem Finger etwas zwischen den Zähnen heraus, schmatzte und sprach weiter: »Ich tu' echt alles dafür, dass sie keine Briefe mehr aufmacht, weil, verstehst du, sie versteht alles falsch, interpretiert Sachen, da denkst du, die Frau hat nicht mehr alle Tassen im Schrank! Du kannst mal zu uns kommen und dir das Arbeitszimmer ansehen. Sie hat darin gewütet, das kannst du dir nicht vorstellen. Hat das Ding von innen nach außen gestülpt! Frag mich nicht, nach was sie da gesucht hat, vielleicht denkt sie, der Geheimdienst hat bei uns sein Hauptquartier!« Er schlug mit der Hand gegen die kalte Wand des Krankenhausflurs und betrachtete aus den Augenwinkeln meine Eltern, die müde auf zwei Besucherstühlen saßen und lauwarmen Kaffee aus Pappbechern tranken.
Mir schien der Moment für ein klares Wort mit Matthias gekommen zu sein. Alles, was er zu sagen hatte, klang plausibel, gleichzeitig aber überhaupt nicht. »Hör mal Matthias, ich weiß selbst, wie du ausflippen kannst, ich hab es am eigenen Leibe erlebt. Dass deine Nachbarn denken, du vergreifst dich an ihr, kannst du ihnen nicht verübeln. Du bist auch nicht gerade der zurückhaltende Typ, wenn es ums Aussprechen von Drohungen und Verboten geht!« So, dachte ich, das schluck mal, mein Lieber. Doch er schüttelte nur den Kopf, hörte gar nicht mehr auf, lächelte dabei. Plötzlich faltete er die Hände wie zum Gebet und sprach mit geschlossenen Augen weiter: »Stell dir mal vor, Silvie, jemand, der dir nahesteht, sagen wir Johannes, hatte als Kind Krebs. Nicht nur, dass dir noch nie zuvor jemand was davon erzählt hat, nein, dieser jemand, der dir nahesteht, ist auch noch der Meinung, dass den Krebs damals seine eigene Schwester in ihn ›reingemacht‹ hat, damit er stirbt. Und dass ebendiese Schwester diesmal wieder den Krebs bringen würde; jedes Mal, wenn sie käme, brächte sie die Krebszellen mit und ließe einen Beutel davon in ihrem Wohnzimmer fallen.«
Ich riss die Augen auf. »Das hat sie gesagt?«
Er nickte bedächtig. »Das hat sie gesagt. Und – entschuldige bitte – das war echt beängstigend. Du warst gerade mit Ole schwanger, und sie sagte: Silvie bringt mir den Krebs in einem großen Sack.«
Ich schüttelte den Kopf, die Worte blieben mir im Halse stecken.
Er lachte auf. »Ich war wütend auf dich, das stimmt, weil du das Haus nicht wolltest. Aber an dem Samstag, als sie mir davon erzählt hat, dass sie schon als Kind Krebs hatte und jetzt vielleicht wieder, da ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt – und das hatte nichts mit dem Haus zu tun. Ich wäre nicht in der richtigen Branche, wenn mich so was umhauen würde. Aber das mit Anna – das muss man erst mal verkraften. Ich hielt es für besser, du bleibst fürs Erste von ihr fern. Sie hatte nun mal diesen schlechten Abstrich, und ihre OP lag vor ihr – da wollte ich einfach nur, dass sie sich nicht noch mehr Scheiße einredet!«
»Aber du hast sie noch nicht mal im Krankenhaus besucht!«, warf ich ihm vor.
Er schnaubte wieder. »Silvie. Ich war damit beschäftigt, Luna zu versorgen und Geld zu verdienen. Mir ging das auch an die Substanz, ihr Gerede vom Sterben. Und Luna, ich meine, die hat auch schon einen Hau weg. Wenn Anna ihr immer wieder erzählt, dass sie sterben wird – da führe ich das Kind doch nicht auch noch zu ihr ins Krankenhaus –, da versuch’ ich doch, sie vor ihr zu schützen!«
Mich fröstelte. »Vor der eigenen Mutter.«
Er nickte. »Vor der eigenen
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