Hirngespenster (German Edition)
inzwischen Cola – ich sowieso, ich musste ja noch fahren –, die war schon teuer genug. Sie guckt sich den Preis an und fragt den einen Herrn – mit Siegelring, man gönnt sich ja sonst nichts –: ›Entschuldigung, darf ich stellen eine Frage?‹ Er guckt wieder verdattert in die Runde und nickt perplex, da fragt sie: ›Wie viel verdiene Sie in Monat?‹«
»Oh nein!!«
»Ja, oh nein!«
»Ach herrje. Und was sagte er?«
»Du, der war sehr souverän. Er antwortete, er könnte ihr nicht sagen, wie viel er verdient, weil seine Frau mit am Tisch säße.«
Tanja kicherte. »Und mit was hat er seine Brötchen verdient, hat er das wenigstens verraten?«
»Exotische Aktien.«
»Exotische was?«
»Das hat Olga auch gefragt! Aber die Antwort blieb uns zum Glück erspart, denn die ersehnten russischen Trapezkünstler betraten die Bühne.«
»Da war sie begeistert, was?«
»Ja! So begeistert, dass sie ständig irgendwas Russisches auf die Bühne brüllte. Die beiden kamen nachher an den Tisch und gaben ihr einen Handkuss.«
»Sie ist schon süß, deine Olga.«
»Das ist sie. Es war ohne Frage ein sehr unterhaltsamer Abend für alle. Und satt geworden ist sie zum Schluss auch noch.«
Tanja machte eine Pause, in der beide ihren Gedanken nachhingen. »Und sonst?«, fragte Tanja schließlich.
»Was, und sonst?«
»Irgendwas Neues von Johannes gehört?«
»Wohl kaum. Danke auch, dass du mich an ihn erinnerst.«
»Sorry, Süße. Und Alex? Ruft er immer noch an?«
»Ich weiß es nicht; ich schalte das Telefon ab. Gesehen hab ich ihn jedenfalls nicht mehr. Aber manchmal könnte ich schwören, dass er wieder irgendwo rumsteht.«
»Legst du keinen Wert darauf, mal mit ihm zu sprechen?«
»Warum sollte ich?«
»Naja, könnte ja sein, dass du ihm erzählen möchtest, wie es mit dem Geschäft läuft. Immerhin habt ihr jede Menge miteinander geplant.«
Sabina überlegte. Wollte sie ihm erzählen, wie alles lief? Wenn er ihr nicht schon so oft aufgelauert hätte, vielleicht. Sie spürte der Abwehr nach, die sich in ihrer Brust ausbreitete. »Nein«, sagte sie. »Einfach überhaupt nicht.«
Manchmal hat keiner Zeit für mich, und ich muss mich allein beschäftigen. Angeblich muss ich das können. Die Ärzte sagen, man könne mich nicht bis zum Rest meines Lebens rund um die Uhr beaufsichtigen, sondern man müsse mir auch einmal etwas zutrauen.
Ganz meine Meinung.
Sabina sieht es anders, sie verfolgt normalerweise jeden meiner Schritte. Heute jedoch nicht, sie muss was Wichtiges fertigstellen, damit Olga nähen kann.
Auf dem Esstisch hat sie wieder einmal Stoffmuster ausgebreitet, offensichtlich sortiert sie sie nach einer bestimmten Methode, die ich nicht begreife – ständig verschiebt sie die Muster und schüttelt den Kopf und seufzt, und schüttelt wieder den Kopf. Nie ist sie zufrieden. Zu Johannes hat sie gesagt, die Leute rennen ihr zurzeit den Laden ein, sie kommt nicht mit der Produktion hinterher. Darüber hinaus gab es eine Prüfung, ob sie sich auch an alle Vorschriften hält. Öko Tex 100 und so. Aha. Darum ist Johannes so oft bei mir. Hat reduziert. Sabina allerdings kann man nichts recht machen. Egal, was er mir zum Essen vorsetzt, wenn sie nicht da ist, es ist verkehrt. Nicht gesund genug. Oder zu schwer für den Magen. Ich fand McDonald's schon immer lecker, ich weiß gar nicht, was sie hat. Angeblich bekomme ich Probleme beim Stuhlgang.
Er sagte letztens: »Mir ist der Kram zu teuer, den du dauernd für sie kaufst. Sie braucht keine Schonkost mehr. Kann ganz normal essen. Guck sie dir an, sie sieht doch blendend aus!«
Man kann darüber streiten. Wirklich.
Sabina seufzt wieder und greift zum Telefon. Erklärt irgendeiner Person, sie solle länger bleiben, weil sie selbst es nicht schaffen würde, rechtzeitig in den Laden zu kommen. Dann legt sie ihren Kopf auf dem Tisch ab, und ich höre merkwürdige Geräusche. Wie Schluckauf. Neugierig nähere ich mich und stupse sie an. Sie schaut auf und lächelt mich schief an, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Wenn der dicke Bauch weg ist, dann ist alles wieder gut«, schnieft sie und wischt sich die Augen. »Ich weiß ja, dass er es nicht böse meint.«
Ich recke meine Hand zu ihrer Wange und streiche darüber. Es gibt Dinge, die ändern sich nie.
Silvie
Nachdem mich die Nachricht von Annas Unfall erreicht hatte, fuhr ich sofort ins Krankenhaus, um meiner Mutter beizustehen. Dass Anna direkt an der Krankenhauseinfahrt mit dem Auto gegen
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