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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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einen Betonpfeiler gerast war und Matthias auf der Beifahrerseite gesessen hatte, erfuhr ich erst vor Ort. Mein Vater hatte meine Mutter im Krankenhaus abgesetzt und war dann voller Panik zu den Kindern gefahren, die zu Hause alleine waren. Gott sei Dank hatten sie alle friedlich geschlafen. Anna fehlte nichts, wenn man einmal davon absah, dass sie offensichtlich unter Schock stand. Um Matthias stand es schlimmer – er war tot.
    »Warum bist du denn nur so schnell gefahren?«, flüsterte meine Mutter und strich Anna übers Haar, die die Nachricht von Matthias' Tod bei ihrer Fahrt gegen den Betonpfeiler der Krankenhauseinfahrt fast reglos zur Kenntnis genommen hatte. Wir anderen, der diensthabende Arzt im Krankenhaus, ich sowie ein Beamter der Kriminalpolizei, sahen sie ebenfalls besorgt an.
    »Er hat Bärlauch gepflückt, im Wald. Wir mussten ins Krankenhaus – so schnell wie möglich«, wisperte sie.
    Der Arzt wurde hellhörig. »Hatte er Vergiftungserscheinungen?«
    Anna nickte, die Tränen rannen ihr über die Wangen.
    »Und Sie, haben Sie auch davon gegessen?«
    »Sie isst kein Grünzeug, schon als Kind nicht«, sagte meine Mutter und streichelte Anna, die nur versucht hatte, ihren Mann zu retten.
    Der Beamte meldete sich zu Wort: »Warum war der Beifahrer-Airbag abgeschaltet, Frau Ziegler?«
    »… die Kindersitze …«, flüsterte sie.
    Der Beamte nickte. »Wir werden eine Obduktion veranlassen. Wenn es stimmt, was ich vermute, dann hatte Ihr Mann Glück; ihm blieb das Schlimmste erspart. Hatte er Krämpfe?«
    »Zuerst nur Halsweh. Dann Durchfall. Überall Blut«, flüsterte sie.
    Der Arzt nickte zustimmend. »So fängt es immer an. Nach ein bis zwei Tagen tritt dann Atemlähmung ein.«
    »Was meinen Sie denn? Eine giftige Pflanze? Gegen die gibt es doch Gegenmittel!«, fragte ich.
    Der Arzt schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, es gibt keins. Ein grauenvoller Tod, der Patient ist bis zum Schluss bei vollem Bewusstsein. Ich vermute, dass er versehentlich eine Herbstzeitlose geerntet hat, Frau Ziegler, die wachsen gern zwischen Bärlauch. Wären es nur Maiglöckchen gewesen, hätte er eine Chance gehabt. Aber bei dem, was sie beschreiben, war es sicher eine Herbstzeitlose.«
    Der Beamte leckte sich über die Lippen. »Gibt es Zeugen dafür, dass er Bärlauch gesammelt hat?«, fragte er und blickte Anna forschend an.
    Sie hob die Schultern.
    »Gibt es eine bestimmte Stelle, an der er immer gepflückt hat? Könnte ihn jemand gesehen haben?«, erkundigte er sich weiter.
    Ich räusperte mich und fragte den Arzt: »Ist er jetzt an einer Vergiftung gestorben oder an den Folgen des Unfalls?«
    »Eindeutig durch den Aufprall.«
    Ich nickte dem Polizisten zu. »Mir würde einleuchten, wenn Sie sie fragen würden, ob sie was getrunken hat, weil sie gegen den Pfeiler gerauscht ist. Aber stattdessen fragen Sie nach dem Bärlauch, so, als ob sie ihn vielleicht gepflückt hätte. Daran ist er aber doch gar nicht gestorben.«
    »Silvie!«, mahnte meine Mutter. Anscheinend riss ich mein Maul wieder zu weit auf. Der Polizist aber nickte fast anerkennend. »Sie meinen tot ist tot, was? Aber vielleicht war es geplanter Mord, und der Unfall kam nur dazwischen? Oder der Unfall war gar keiner.«
    Ich lachte auf. »Sie meinen, doppelt gemoppelt hält besser?« Fast hätte ich mir an die Stirn getippt. Meine Mutter sah aus dem Fenster und schüttelte den Kopf, als hätte sie Parkinson. Annas Augen waren geschlossen, sie sah richtig entspannt aus.
    »Ich muss allem nachgehen, in alle Richtungen ermitteln, junge Frau«, fuhr der Polizist fort.
    Junge Frau? Der Typ war gut und gerne zehn Jahre jünger als ich. Mit seinen zu Berge stehenden Haaren sah er ein bisschen aus wie Ratz von Ratz und Rübe. »Hören Sie«, sagte ich, »vielleicht können Sie meine Schwester später befragen, wenn sie nicht mehr unter Schock steht. Was halten Sie von morgen?«
    »Ich brauche die Stelle im Wald«, beharrte er.
    »Fragen Sie im Kindergarten nach«, flüsterte Anna plötzlich, die Augen noch immer geschlossen. »Die können Ihnen Stellen zeigen, wo er gepflückt haben könnte. Fragen Sie die Frau Gärtner, die hat mir ein paar Tage vorher gezeigt, wo guter Bärlauch wächst. Meinem Mann hatte ich davon erzählt.« Der Beamte nickte und drückte meiner Mutter eine Visitenkarte in die Hand. Dann zog er endlich ab.
    Ich konnte nicht fassen, was ich gehört hatte. »Matthias war doch ein erfahrener Sammler – warum hat er denn nicht aufgepasst?«,

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