Hirngespenster (German Edition)
ihrer Vorstellung von Luxus.
»Ist Zelt«, stellte sie schmallippig fest und stöckelte ins Foyer des roten Riesenpavillons. Sabina hakte sich unter und dirigierte sie zu einem kleinen Pult, hinter dem ein junger Mann im Frack in einem Buch blätterte und Sabina erwartungsvoll anblickte. »Ihre Eintrittskarten?«, fragte er, und Olga räusperte sich. »Habe ich gewonnen Karten«, erklärte sie, noch immer etwas verschnupft über das mangelnde Ambiente. »Drinnen ist scheener?«, fragte sie und folgte gleichzeitig mit ihrem Blick einem großen Transvestiten, der durchs Foyer stolzierte und die Gäste begrüßte. Der junge Mann grinste: »Drinnen ist es wunderschön, Sie werden nicht enttäuscht werden, gnädige Frau.« Olga bedachte ihn mit einem stolzen Blick und neigte ihr Haupt. Wieder glitt ihr Blick dem Transvestiten hinterher, und sie krallte sich fester an Sabinas Arm.
»Wollen wir die Mäntel abgeben?«, fragte Sabina und schob sie weiter in Richtung Garderobe. Olga nickte eifrig und versuchte, sich aus Natashas viel zu engem Mantel zu befreien, was ihr mehr schlecht als recht gelingen wollte. Sabina half ihr schließlich und übergab die beiden Mäntel der Garderobiere, die ihr einen bedeutungsvollen Blick zuwarf; doch Olga zog sie bereits weiter, da der Transvestit sich den beiden näherte. Sabina lachte. »Hast du etwa Angst vor dem?«, flüsterte sie und nickte dem Transvestiten zu, der sich augenblicklich vor Olga verneigte und mit weicher Stimme »Winsche wunderscheenen Aabeend, gnä‘ Fraau«, hauchte. Olga riss die Augen auf. »Russe ist!«, rief sie entsetzt und flüchtete mit Sabina im Schlepptau in Richtung Eingang des Spiegelsaals, den sie kurz darauf mit geöffnetem Mund betrat. Offensichtlich gefiel ihr, was sie sah, denn sie schnalzte mit der Zunge. »Ist Palaaast«, sprach sie feierlich und betrachtete entzückt das Innere des Zelts, das vom Lichterschein unzähliger Kerzen erstrahlte, der sich in den rundum an der Zeltwand befestigten Spiegeln brach. Ein Kellner führte sie zu ihren Plätzen direkt an der Bühne in der Mitte des Zelts. Sabina und Olga nahmen auf den beiden innersten Stühlen des Sechsertisches Platz – von dort hatte man die beste Sicht.
»Bin ich sprachlos«, sagte Olga anerkennend und nickte freundlich den anderen Anwesenden zu, die ebenso begonnen hatten, ihre Plätze einzunehmen.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne an einem bereits vollbesetzten Tisch fand sich ein Mann im schwarzen Frack ein, der offensichtlich etwas Lustiges zu erzählen hatte. Die Anwesenden am Tisch lachten laut, und Olga beobachtete staunend, dass der Mann zu zaubern begann. Kleine Bälle tauchten in seinen Händen auf und verschwanden ebenso schnell wieder, dazwischen brachte er seine Tischgäste immer wieder zum Lachen. Plötzlich trübte sich Olgas Blick – der Transvestit hatte soeben den Saal betreten und zog eine Runde durch die Reihen, zielstrebig in ihre Richtung.
»Kommt näher«, stellte sie fest und verfolgte sein Tun mit Argusaugen, gleichzeitig glitt ihr Blick immer wieder zu dem Zauberer am Tisch gegenüber.
»Olga, beruhige dich«, flüsterte Sabina, »die gehören beide zur Show, der Zauberer genauso wie die Transe.«
»Meinst wirklich?«, fragte Olga, tippte sich dann an die Stirn und beugte sich konspirativ zu Sabina über den Tisch. »Vielleicht gehört zu Show, Sabina, aber ist keine Frau«, erklärte sie flüsternd. »Ist Mann. Hat, äh, Ding in Hose.«
Sabina lachte auf. »Ja, und er fliegt auf Männer!«
»Huuuh!«, rief Olga und hielt sich beide Hände vor den Mund.
»Als ob du das nicht wüsstest«, fuhr Sabina ungerührt fort. »Sprich ihn am besten als Frau an, darüber freut er sich.«
Inzwischen war der Transvestit an ihrem Tisch angelangt und strahlte Olga und Sabina an. »Amisieren sich gut die beide Damen?«
»Beste Amisemon, Frau Transe, beste Amisemon«, erwiderte Olga strahlend, zeigte ihre Zahnlücke und wedelte mit ihrer Hand in seine Richtung, ganz nach dem Motto: Zisch ab!«
Im selben Moment führte der Kellner zwei Paare an den Tisch; sie nahmen die übrigen vier Plätze ein. Olga betrachtete die älteren distinguierten Herrschaften neugierig, reichte eilig jedem die Hand, stellte sich selbst als »Olga Pratnikova« vor und Sabina als »meine Nachbarin«. Sabina nickte in die Runde und ergriff eilig die Gelegenheit, beim Kellner zwei Gläser Sekt zu bestellen; der Rest des Tisches orderte eine Flasche Champagner. Olga warf Sabina einen
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