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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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noch einen Schnellkurs im Segway-Fahren absolvieren. Leni
rauscht ab Richtung Bergwerkseinfahrt und sieht, als sie sich umdreht, wie
Weidinger im Stand vor- und zurückzuckelt, kein rechtes Gefühl für den
Neigungswinkel des Körpers beim Beschleunigen und Lenken bekommt. Er lehnt sich
nach vorn, aber so heftig, dass der Roller abgeht wie ein Araberhengst.
Erschrocken lehnt Weidinger sich zurück und bleibt abrupt stehen.
    Das kann noch dauern, denkt Leni und beschließt, allein
weiterzufahren, bevor von Reichenberg zu viel Vorsprung bekommt.
    »Ausgänge sichern!«, schreit sie über die Schulter zurück. »Und
lasst euch halt das mit den Rollern erklären und kommt mir nach, wenn ihr so
weit seid.« Und schon verschwindet sie im Berg, und das Brummen des
Elektromotors verschwindet mit ihr.
    Grob behauen und rau sind die Wände des langen Stollens, der vom
Tageslicht weg in den Salzberg hineinführt. Leitungstrassen sind links und
rechts knapp unter der Decke angebracht. Ein Gewirr aus lose verlegten Kabeln
liegt neben Rohren und Schläuchen auf den Trassen oder hängt locker von der
Decke. Bläulich schimmert weißes Neonlicht, eine defekte Leuchtstoffröhre
flackert. Der Fahrtwind streift über Lenis Gesicht. Ein leichter Salzgeruch
steigt ihr in die Nase.
    Am Ende des Stollens sind Blinklichter zu sehen, abwechselnd rot und
blau. Ein hohes Summen wie von einer sich entfernenden U-Bahn verschwindet im
Berg. Vom Ausgang sind Stimmen zu hören und das Krächzen eines Funkgeräts. Leni
war vor über einem Jahr das letzte Mal im Sinkwerk  XXI .
Damals ging es um einen Verdacht auf Wirtschaftskriminalität. Die Räume der
Bayerischen Landesbank waren durchsucht worden. Vorstände, Manager und Banker
befanden sich zu einem Business-Incentive hier im Sinkwerk. Das ist die
Klientel, die sich diese exklusive Location für Firmen-Events mietet. Damals
war es jedenfalls so, und Kommissarin Morgenroth sollte mit ihren Kollegen in
Bereitschaft stehen, um auf Kommando zuzugreifen. Auf Weisung von oben wurde
die ganze Aktion schließlich wieder abgeblasen.
    Leni hat das Sinkwerk XXI , auf das sie
jetzt zusteuert, kleiner in Erinnerung als das Kaiser-Franz-Sinkwerk, das zum
Schaubergwerk gehört und komplett ausgebeutet ist. Das Sinkwerk XXI ist eine etwa zweitausend Quadratmeter große
Kaverne, ein Hohlraum im Fels, mit sechs bis sieben Metern Deckenhöhe, in das
früher Süßwasser eingeleitet wurde. Das Wasser löste das Salz aus dem Gestein,
und die entstandene Sole wurde dann abgepumpt und in der Soleleitung, einer Art
Pipeline, in die Saline nach Bad Reichenhall transportiert.
    Nichts ist hier, sechshundert Meter im Berg, geschönt, verputzt oder
schick gemacht worden. Alles ist so erhalten, wie es nach dem letzten Ablassen
der Sole aussah. Nur die Einrichtung ist neu. Eine Bar, bunte Sitzsäcke,
Tische, eine Licht- und Tonanlage sowie eine Bühne für den DJ . Die Felswände sind sichtbar, die Decke – bei den
Bergleuten heißt sie »Himmel« – ist aus Steinsalz, das große Mengen von
Gips enthält. Daher lohnt der Abbau an dieser Stelle nicht mehr.
    Leni hofft, dass im Sinkwerk nicht gerade ein Incentive-Seminar oder
eine Party mit Topmanagern im Gang ist, die gerade unter massiver
Testosteronüberversorgung leiden. Sicher haben die Kollegen schon über das
Bergwerkstelefon die Veranstalter im Sinkwerk informiert, dass ein
Mordverdächtiger mit dem Segway in ihre Richtung unterwegs ist.
    Von Reichenberg hat zwar einen Vorsprung, doch wie er aus diesem
Scheißbergwerk je wieder rauskommen soll, das weiß er nicht. Als der
Polizeiwagen sich vor ihm querstellte, war ihm klar, dass sie ihn gesucht und
gefunden hatten. Und da sich alle möglichen Auswege als Sackgassen erwiesen,
war der Stollen plötzlich als einziger Fluchtweg übrig geblieben. Irgendeine
Möglichkeit gibt es immer, denkt er.
    Der Fahrtwind zerrt an seinem Haar. Er sieht einen Balken, der in
Kopfhöhe quer über die Stollenbreite eingespreizt ist. »Sinkwerk XXI « zeichnet ein Laser in blauer Schrift an die Wand.
    Von Reichenberg duckt sich, weicht dem Balken aus. Erst als er den
Kopf wieder hebt, erkennt er die Barrikade aus Sitzkissen, auf die er zufährt.
Er zieht die Lenkstange zu sich heran, kann aber nicht mehr schnell genug
bremsen und rast in den Wall hinein. Die Räder rollen die Säcke hinauf und
deformieren sie. Das Fahrzeug stellt sich auf, das Summen wird lauter, ganz so,
als versuchte die Elektronik verzweifelt, die Elektromotoren dazu

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