Hirschgulasch
Schüsse aus einem Maschinengewehr: Trrrr, trrr, trrr. Es kann
eigentlich nicht sein, zu viel Fels liegt zwischen ihm und dem Tag da draußen.
Vielleicht sind jetzt aber auch der Kommandant und seine Helfer dran. Dieser
Gedanke freut Alexej, und er fährt mit der Zunge wieder über seine Zahnwunde,
die längst nicht mehr so schmerzt wie noch vor ein paar Stunden.
Was werden sie dem Exekutionskommando gesagt haben? Immerhin
erschießen sie auch Deutsche, das werden sie an den Uniformen sehen und
vielleicht auch hören: »Nein, nicht schießen, wir sind doch Deutsche!
Kameraden, das muss ein Irrtum sein, wir sind Deutsche, nicht schießen, bitte!«
Trrr, trrr, trrr – so schnell geht es, und dann tritt Stille
ein. Den Schützen werden sie erzählt haben, dass die anderen Verräter waren.
Alle sind damit weg. Keiner ist mehr da, der weiß, was sich hinter den
Tausenden von Tonnen Fels verbirgt.
Der letzte Waggon wurde nicht mehr entladen. Die Kunstschätze und
Goldbarren sind im Eisenbahntunnel in Berchtesgaden geblieben, aber diese eine Zugladung
mit Kunstwerken, das ist nichts im Vergleich zu dem, was gerettet ist. Für den
Reichsmarschall Göring, denn von Alexej weiß niemand.
Mit der brennenden Karbidlampe in der Hand geht Alexej am Regal
entlang weiter ins Berginnere. Tränen stehen ihm in den Augen, laufen über
seine Wangen, säumen den ganzen Weg, den er gegangen ist. So viele Tränen, von
denen niemand je erfahren wird. Immerzu flüstert er: »Tu’s nicht, nein, tu’s
nicht, wir sind doch die Guten.«
Marek war es, der das zu ihm gesagt hatte, drei Tage zuvor, als er
den Luftzug spürte am Ende des Stollens. Er machte Marek darauf aufmerksam.
Dort, wo der Fels nur roh behauen war, von dort kam ein Luftzug, wie ein
leichter Wind. Es gibt dort keinen Luftschacht. Es muss eine Verbindung nach
draußen geben, eine Höhle vielleicht. Das hatte er gedacht. Es war ein ganz
leises Gluckern und Tropfen zu hören. Dort wollte Alexej nun hin, an das Ende
des Schachts, da, wo er vor drei Tagen den Wind gespürt hatte. Nur ein Posten
war so tief im Stollen bei ihnen gewesen, bewaffnet mit einer MP . Er war jung und unerfahren, ja ängstlich gewesen.
Alexej hatte das Gefühl, dass es dem Jungen unheimlich war, hier auf sie
aufpassen zu müssen. Er flüsterte Marek zu: »Spürst du das? Spürst du den Wind?
Hier muss es nach draußen gehen. Mensch, Marek. Dort muss die Freiheit liegen.«
Marek starrte ihn an.
»Sag etwas zu dem Posten, lenk ihn ab. Ich ziehe ihm eine Stange
über den Kopf. Wenn er umfällt, hauen wir ab, in die Freiheit. Das machen wir,
los.«
Marek sagte: »Der Junge kann doch nichts dafür. Wenn wir ihn
erschlagen, sind wir genau wie sie. Aber wir sind doch die Guten.«
»Wir sind doch die Guten.« Alexej flüstert es noch immer vor sich
hin.
»Und du, Marek, du bist der Beste von allen und liegst jetzt im
Graben, erschossen von denen, die dann nach dir erschossen wurden. Ist das
jetzt besser, als wenn wir vor drei Tagen beide lebend davongekommen wären?
Dein Posten liegt doch nun auch in der Grube, was ist jetzt besser, Marek? Sag
es mir.«
Der Wind ist kaum zu spüren, als er an der Stelle ankommt, weil der
Stolleneingang nun verschlossen ist. Aber das Gluckern und Tropfen ist zu
hören, deutlicher als vor drei Tagen sogar, denn es ist still geworden im
Schacht. Kein Geröll mehr, keine Posten, keine Aufseher und keine Arbeiter.
Keine Lkws. Nur noch er allein und das stumme Gold in den Kisten und das
Gluckern des Wassers.
Es ist ein ganz schmaler Spalt zwischen den grob behauenen Felsblöcken,
aus dem die Geräusche kommen. Er zwängt sich hindurch, es geht ein paar Meter
eben dahin, dann steil nach oben. Wasser läuft herab, nicht viel, aber genug,
um endlich wieder trinken zu können. Gutes, frisches Wasser. Er spült seinen
Mund und spuckt den Steinstaub und das Blut zusammen mit dem Wasser aus. Der
Geschmack des Blutes ist fast weg, die Wunde beginnt sich zu schließen.
Er schafft es, die Lampe so am Rucksack festzubinden, dass er noch
sehen kann, sie ihn aber weder verbrennt noch etwas entzündet.
Die Höhle verzweigt sich jetzt. Ein Gang führt nach oben, der andere
nach unten. Alexej entscheidet sich, nach oben weiterzugehen. Er will nicht in
die Tiefe, sondern zum Licht. Und er denkt, dass er es eher oben als weiter im
Berginneren finden wird.
Er klettert einen Felskamin nach oben, Meter für Meter. Hat Angst,
sich umzusehen, zu weit geht es nach unten. Und doch kann nichts so
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