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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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achten, lud er Anne ein, sich neben ihn auf den Baumstamm zu setzen.
    Anne zögerte kurz, irgendwie war ihr die Situation nicht geheuer – hier im Wald war vor wenigen Tagen eine junge Frau spurlos verschwunden. Wer sagte denn, dass es nicht genau diese ruppigen Männer waren, die Hanna Nikopolidou hatten verschwinden lassen? Aber dann besann sie sich: Schließlich war es ihr Beruf, sich in Gefahr zu begeben. Angst durfte sie sich nicht erlauben. Also trat sie zu dem Schnurrbärtigen und wollte auf dem Stamm Platz nehmen, doch ehe sie sich setzen konnte, war jener schon mit einer ungelenken Bewegung aufgesprungen. Anne erschrak kurz, aber dann sah sie, dass er ihr lediglich im Stehen den Handschlag anbieten wollte: »Servus, ich bin der Nachtweih Steff, zweiunddreißig, ledig.«
    Mit dem festen Druck seiner von Hornhaut harten Hand begrüßte er sie, behielt ihre Hand einen Moment zu lange in seiner Pranke, ließ sie frei und stellte dann die anderen vor, indem er der Reihe nach mit seinem starken Zeigefinger auf jeden deutete. Den mit dem schwarzen Vollbart und dem gescheitelten Haar, der für Anne am furchterregendsten aussah, stellte er als den Soder Leonhard vor. Der grobe Kerl blieb sitzen und grüßte Anne mit einem beiläufig dahergesagten »Habe die Ehre«. Der mit der dunklen Haut und dem Dreitagebart hieß Josef Hannawald. Obwohl er fast wie ein Türke aussah, sagte er in breitem Bairisch »Griaß di, Weiberl«, was Anne saublöd fand, aber schluckte. Der vierte hieß Uli Zernet und wirkte untersetzt. Sein Gesicht war glatt rasiert, und auf seiner Halbglatze reckten sich einige helle Restlocken frech in den Himmel.
    »Und ich bin die Anne«, sagte Anne und nahm neben Steff Nachtweih Platz, der schon wieder auf dem Baumstamm saß. Davor hatte er noch die Brotbrösel aus einem Küchentuch geschüttelt und es Anne als Sitzunterlage hingelegt.
    »Servus Anne«, sagten alle vier Holzfäller nun im Chor und klangen dabei nicht mehr so einschüchternd wie gerade eben noch.
    »Magst auch eine Kaminwurzen?«, fragte der Nachtweih Steff und hielt Anne eine würzige kleine Hartwurst hin. Sie zögerte einen Augenblick, denn Hunger hatte sie keinen, aber dann nahm sie die Wurst aus der Hand des Holzfällers und biss hinein.
    »Die Wurscht hat Glück«, kommentierte der glatzköpfige Zernet und brachte damit die drei anderen zum Lachen.
    Solche Witze zählten genau zu jener Art, die Anne am meisten hasste, aber sie nahm es hin und sagte in das Gelächter hinein: »Das muss eine schwierige und anstrengende Arbeit sein, hier am steilen Berghang Bäume zu fällen.«
    »Da kannst Gift drauf nehmen!«, erwiderte Zernet. »Das ist wie jeden Tag eine Bergtour, und zwar mit schwerem Gepäck.«
    »Als ob du jetzt so viel laufen tätst!«, brummte Leonhard Soder mit rauer Stimme. Zu Anne gewandt, erklärte er: »Der Uli ist nämlich unser Rucker. Der fällt nix, der schaut bloß, dass das Holz aus dem Wald hinauskommt.«
    »Also, vom Beruf her ist der Uli quasi Taxifahrer«, warf Josef Hannawald ein, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte. »Bloß, dass er anstatt Holzköpfen Baumstämme umeinanderkutschiert.«
    Kauend und auf die bereits gefällten Stämme blickend – es mochten zwanzig, dreißig sein –, meinte Anne: »Das sieht aus wie ein Riesenmikado. Da hast du ganz schön was zu tun, Uli, was?«
    Der Angesprochene wurde ein wenig rot und erwiderte: »Das kann man so sagen. Besonders wenn das Gelände derart steil ist. Da komm ich ja mit keinem Bulldog nicht hinauf.«
    »Wie machst du das dann?« Anne klang ehrlich interessiert, Soder grunzte unwillig. Dass der Uli den ganzen Tag auf seinem Gefährt saß, während die anderen die Knochenarbeit verrichteten, ging ihm wohl gegen den Strich.
    »Der Bulldog steht unten«, erläuterte Zernet nun. »Da ist eine Seilwinde dran, die hat eine Mordskraft. Von der weg leg ich ein Stahlseil bis hinauf in den Hang. Da kett ich dann den Stamm fest, geh wieder hinunter und zieh den Hundling runter. Unten häng ich ihn aus und heb ihn mit dem Kran auf den Stapel, wo er hingehört. Ordnung muss sein, ich meine qualitätsmäßig, längenmäßig und so …«
    »Und Rucker heißt dein Beruf, weil du die Bäume verrückst?«, fragte Anne.
    Zernet nickte, aber Steff Nachtweih platzte laut lachend dazwischen: »Na, sondern weil er ein verruckter Hund ist, der Uli.«
    »Besser verruckt wie verreckt«, sagte Leonhard Soder, es klang verächtlich.
    »Aber unsere Arbeit ist eigentlich

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