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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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gemacht hatte. »Also, jedenfalls hat der Arzt vom Kreiskrankenhaus die Kripo angerufen, weil die Todesursache merkwürdig ist: Darmmilzbrand. Die Frau ist an Milzbrand gestorben, und der Mann ist auch infiziert. Das Komische ist: Da dran sterben normalerweise bloß Heroinsüchtige, weil die Droge oft von Viren verdreckt ist. Die beiden sind aber garantiert nicht heroinsüchtig, sagt der Arzt. Und deswegen ermittelt jetzt die Kripo.« Anne zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Und der Schönwetter will, dass wir auch kommen, weil die bei uns am See im Urlaub waren. Jetzt, sofort. Er ist schon dort.«
    »Tja, dann«, flötete Anne, als hätte Kastner ihr eben angekündigt, mit ihr aufs Seefest zu gehen, »… gehen wir eben ins Krankenhaus.«
    Auf die Frage, ob sie noch alle Ziegel auf dem Dach habe, reagierte Anne nicht. In ihrer Nase lag der Geruch von Johanns Haar. Sie hatten die ganze Nacht kein Auge zugetan. Und doch fühlte sie sich kein bisschen müde.
    Der Kripomann Schönwetter stand mit Johnny Fritzenkötter im Labor. Der kleine, dicke Rechtsmediziner mit dem kurzen blonden Haar – er mochte fünfunddreißig sein – hielt einige Blätter mit Tabellen und Grafiken in der Hand. Man begrüßte sich mit leisen Worten. Dann sah Schönwetter auch den Polizeichef vom See, Kurt Nonnenmacher, und fragte unfreundlich: »Was wollen Sie hier?« Er wandte sich an Kastner. »Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass nur Sie und Frau Loop …«
    »Der Kurt … also der Kurt …«, stammelte Kastner, »… der Kurt wollt halt auch mit.«
    »Außerdem bin ich hier immer noch der Chef!« Das letzte Wort sprach Nonnenmacher aus, als schriebe man es mit zwei »e«.
    Schönwetter schüttelte widerwillig den Kopf. Fritzenkötter ging auf das Geplänkel nicht ein, sondern sagte mit seiner vom Rauchen rauen Stimme, aus der ein sanftes Fränkisch klang: »Des is a sehr ung’wöhnlicher Fall. Ich kann mich net dran erinnern, dass in unserm Krankenhaus jemals jemand an Milzbrand erkrankt wär, geschweige denn daran g’storben.« Der Arzt kratzte sich am Kopf. Die Schwungtür klappte und verursachte einen Windzug, eine Krankenschwester schlappte in den Raum, in der Hand einen Plastikbecher. Sie lächelte Kastner an. »Ich hab mich a bissl eing’lesen: Früher gab es häufiger Milzbrandfälle«, ergänzte Fritzenkötter.
    »Was ist denn das für eine Krankheit?«, bellte Nonnenmacher. Er klang wütend, aber auch verunsichert.
    »Eine Infektionskrankheit. Aber eigentlich befällt sie eher Hufdiere …«
    »Kürzlich sitz ich aufm Freisitz bei mir daheim«, erzählte Nonnenmacher, »da höre ich so Hufgetrappel vom Gulbransson-Museum her. Ich denk: Ja, ist denn heut schon Almabtrieb? Aber dann denk ich: Das kann ja gar nicht sein, weil normal werden die Rindviecher ja nicht durch unsern Park getrieben. Da schau ich hin und seh lauter feine Damen mit Stöckelschuhen. Das hört sich an wie Rindviecher. Aber pfeilgerade! Tragen Sie eigentlich auch manchmal so Stöckelschuhe, Frau Loop?«
    Die Frage blieb unbeantwortet, Fritzenkötter räusperte sich und fuhr fort: »Der Erreger is a Bakterium in Form eines Stäbchens, des sich sporenartig verbreidet. Sie können sich den Effekt vorstellen wie bei einer Busdeblume, die im Wind ihre Samen überallhin verdeilt. Früher gab es regelrechte Seuchen, die ganze Städte dahinraffen konnten. Deshalb hab ich Sie auch gleich verständigt«, er nickte Schönwetter zu. »Wenn sich so eine Ebidemie ausbreidet, dann is des eine Kadasdrophe.«
    »Warum heißt die Krankheit Milzbrand?«, fragte Kastner. »Hat das was mit der Milz zu tun?«
    »Der Name is irreführend. Die Krankheit befällt vor allem die Haut, die Lunge, den Darm. Allerdings kann auch die Milz vom Bacillus andhracis befallen werden.«
    Anne hatte während des gesamten Gesprächs nur halb zugehört. Immer wieder waren ihre Gedanken zu Johann gewandert. Die Nacht war wunderbar gewesen. Johann hatte jede Stelle ihres Körpers erkundet. Als Fritzenkötter den Begriff »Bacillus anthracis« erwähnte, tauchte Anne aus den Tiefen ihrer Glücksgedanken auf: »Bacillus anthracis?«, fragte sie in die Runde. »Hat das was mit Anthrax zu tun?«
    »Des is Andhrax«, fränkelte Fritzenkötter. »Bacillus andhracis is nur der ladeinische Fachderminus.«
    Plötzlich war Anne hellwach und präsent. »Aber ist Anthrax nicht ein biologischer Kampfstoff? Sind nicht 2001 mehrere Attentate auf amerikanische Politiker verübt worden, bei denen Anthrax

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