Hirschkuss
Kurt …zefix, Sepp, halt jetzt deine Goschen, wir werden schon sehen, wie wir da wieder herauskommen aus der Sache.« Nonnenmachers Magen gab plötzlich sehr laute Töne von sich. »Außerdem sind wir hier in Bayern und nicht in Frankfurt.«
»Aber Kurt, auch bei uns gilt, dass …«
»Sepp, jetzt halt die Pappen! Du weißt so gut wie ich, dass ein Bayer kein Hesse ist und von dem her ein bayerischer Staatsanwalt kein hessischer nicht sein kann. Und außerdem schauen wir jetzt erst einmal, ob der feine Herr Holzdantler sich überhaupts traut, wegen der Barbiepuppengeschichte einen Zinnober zu veranstalten. Zu verlieren hat der garantiert mehr wie mir!«
So schnell wie an diesem Tag hatte sich Anne noch nicht oft von der Uniform befreit und in ihre Freizeitklamotten geworfen. Und auch die Nordrunde um den See, vorbei an Gut Kaltenbrunn, radelte sie in Rekordzeit. Vielleicht war Johann ja schon da? Tatsächlich wartete bereits jemand im Haus, aber es war nur Lisa. Annes Zuversicht verlor sich im Halbdunkel der Küche. Schnell schaltete sie Radio und Licht ein und öffnete den Kühlschrank. Sie musste sich ablenken. Wenn er nicht kam, dann kam er eben nicht. Sie war schon lange genug allein, und sie würde es auch noch eine Weile aushalten. Wenn der schöne gestrige Abend der vorerst letzte gewesen sein sollte, dann war das eben so zu akzeptieren. Man konnte das Glück nicht zwingen.
Betont fröhlich fragte sie Lisa: »Machen wir uns Fischstäbchen mit Pommes oder Nudeln mit Tomatensoße? Was Komplizierteres schaffen wir jetzt nicht mehr. Es ist schon so spät.«
Lisa wünschte sich Fischstäbchen mit Nudeln, und so saßen die beiden eine halbe Stunde später auf der Terrasse und blinzelten kauend in die untergehende Sonne. »Ach, geht’s uns gut!«, seufzte Anne. Es klang nicht sehr überzeugend.
»Mama, warum bist du so komisch?«
»Ich? Bin ich komisch?«, fragte Anne, sie fühlte sich ertappt. »Kein bisschen!«
»Du hast so eine komische Stimme. Und du schaust so komisch …« Das Mädchen sah seine Mutter prüfend an.
»Hast du deine Hausaufgaben ordentlich gemacht?« Annes Stimme klang nun übertrieben streng.
»Mache ich doch immer«, antwortete Lisa in einem Tonfall, der zwischen Langeweile und Genervtsein lag.
»Dann ist ja alles gut«, meinte Anne spitz und fühlte sich ein wenig verloren.
Noch während des Essens schaute sie zweimal auf ihr Handy, und als die Teller leer waren, scheuchte sie Lisa auf recht ungemütliche Weise zum Zähneputzen und ins Bett. Auch die Gutenachtgeschichte fiel kurz aus.
Nachdem Anne die Tür zum Kinderzimmer zugezogen hatte, ging sie nach unten, machte sich einen Campari Orange und trank ihn auf ex. Nervös prüfte sie ihr Handy, schaltete es sogar einmal aus und wieder ein. Ging hinaus in den Garten und bis zum Seeufer vor, weil es dort besseren Empfang gab. Vielleicht hatte Johann ja eine SMS geschickt, vielleicht hatte der Wind sie wegen des schlechten Netzes verweht. Aber nein, da war keine Kurzmitteilung. Und auch kein Anruf. Sollte sie ihn anrufen? Aber das würde dann wieder so klettenhaft wirken! Und war es nicht so, dass Männer immer Angst bekamen, wenn man sich zu sehr um sie bemühte?
Anne schaltete den Fernseher ein. Es kam eine Sendung, in der sich Prominente in einem Urwald zum Affen machten. Einer der sogenannten Stars steckte gerade mit seinem Kopf in einem Glasbehälter voller weißer Maden. Anne starrte auf den Bildschirm, aber nichts drang in ihr Bewusstsein. Sie dachte an Johann. Kurz wanderten ihre Gedanken auch zu Bernhard, ihrem Ex. So richtig viel Glück hatte sie nicht mit den Männern. Aber wie soll man auch, wenn man allein ein Kind großzieht und arbeiten muss, wie soll man da …? Anne spürte, wie Traurigkeit in ihr hochstieg. Sie stand auf, ging in die Küche und mischte sich noch einen Campari Orange. ›Wenn alle Stricke reißen, kann ich ja immer noch Alkoholikerin werden‹, dachte sie, fand sich dabei aber kein bisschen lustig.
Da klingelte es an der Tür! So schnell sie konnte, eilte Anne zum Eingang. Als sie den Spiegel passierte, ärgerte sie sich, dass sie nicht mehr geduscht hatte. Wie zerknautscht sie aussah! Vermutlich roch sie auch gar nicht frisch – sie hatte immerhin eine Bergtour hinter sich!
Wie dämlich war sie eigentlich? War das überhaupt Johann? Sie öffnete die Tür.
»Du bist es!«, entfuhr es ihr, und im selben Augenblick schämte sie sich für den unterwürfigen Satz.
Doch Johann schien das egal
Weitere Kostenlose Bücher