Hirschkuss
Herbie, vielen Dank. Ihr seid’s ein super Sender! Liebe Grüße, deine Karin.‹«
Der Moderator zögerte kurz und sagte dann: »So, das schreibt uns also die Karin aus Lenggries, und es freut mich, dass die Karin aus Lenggries merkt, dass hier noch echte Menschen sitzen im Studio, gell, und keine Maschinen oder irgendwelche …« Er suchte nach dem passenden Wort, aber es fiel ihm nur »Deppen« ein. »Liebe Karin, ich danke dir ganz herzlich für deine herzlichen Zeilen. Aber ich sage auch: Hock dich nicht jede Nacht an den See, weil schlafen muss man schließlich auch. Und so eine Blasenentzündung hat man auch schnell. Und jetzt Spaß beiseite, und viel Spaß mit unserem Hirlwimmer Hanni vom Tegernsee!«
Dann erklang das gewünschte Lied, dessen zentrale Zeilen »Hey, hey, ihr lieben Leute, wir feiern hier und heute, tausendundeine Nacht, wir feiern, dass es mächtig kracht« lauteten.
Doch davon bekam Anne kaum etwas mit, denn das brachiale Sägen des Arztes am Brustkorb der Toten nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ehe Fritzenkötter sich um die Beschaffenheit der einzelnen Organe kümmern konnte, erschütterte zudem ein lautes Rumsen den Obduktionssaal. Kurt Nonnenmacher hatte die Besinnung verloren und war umgefallen.
»Ja sakra, da fallt der doch glatt um!«, meinte Kastner und kniete eiligst neben dem Inspektionschef nieder. Schnell verabreichte er Nonnenmacher mehrere Watschen, richtig ordentlich, rechts und links im Wechsel.
»Seppi, spinnst du? Du darfst den doch nicht hauen!«
»Schwester Heike, kümmern Sie sich bitte um den Herrn, dann kann ich weitersägen«, meinte Fritzenkötter ungerührt. Das Sägegeräusch war nur für einen Augenblick verstummt. Jetzt mischte es sich wieder mit Herbies Radioshow und den Ohrfeigen, die Kastner dem schon manchmal arg dominanten Chef verpasste.
»So hören Sie doch auf!«, fuhr die Schwester den jungen Polizeibeamten an. »Der muss in die stabile Seitenlage, der schwere Klotz!«
»Also, beim Kurt helfen solche Watschen normal schon«, meinte Kastner, und tatsächlich öffnete Nonnenmacher nach kurzer Zeit die Augen, und er sagte der über ihn gebeugten, rothaarigen Schwester Heike ins Gesicht: »Helga, warum hast du dir die Haare gefärbt?«
»Ich bin die Heike, mein Lieber, aber wie geht’s uns denn jetzt?«
»Wie es uns geht, weiß ich nicht«, antwortete Nonnenmacher. »Aber mein Schädel brummt, und die Backen brennen. Was war los?« Mit der Hilfe von Kastner und Schwester Heike rappelte sich der Inspektionschef auf und trat an das Waschbecken, über dem ein Spiegel hing. Im Hintergrund sägte der Arzt noch immer, und der Moderator Herbie sagte gerade: »So, dann kommt jetzt unser Scherzrätsel für heute. Wer die Lösung weiß, gewinnt eine super Kaffeetasse, signiert von mir und Lothar Matthäus. Die Frage lautet: Warum legen Hühner Eier?«
Als Nonnenmacher sein Gesicht im Spiegel erblickte, entfuhr es ihm erschüttert: »Ich bin ja knallrot im Gesicht!«
»Das haben Sie Ihrem Herrn Kollegen zu verdanken«, kommentierte Schwester Heike. Nonnenmachers Blick wanderte zu Kastner. Im Radio war der erste Anrufer in der Leitung und sagte: »Die Hühner legen Eier, damit wir sie essen können.«
»Das ist natürlich richtig«, hörte Anne den Moderator Herbie sagen, mehr verstand sie jedoch nicht. Kurz darauf erklang ein feiner französischer Tango.
»Nix für ungut, Sepp«, meinte Kastner. »Die Watschen waren wirklich gut gemeint von mir …« Weiter kam er aber nicht, denn die Augen des Inspektionschefs waren am Seziertisch hängen geblieben, und beim Anblick der Säge an den Rippen geriet der schwere Mann erneut ins Wanken. Schnell und beherzt griff ihn Schwester Heike unter dem Arm, von der anderen Seite eilte Anne herbei, und so führten sie Nonnenmacher aus dem Raum. Anne hörte gerade noch, wie Herbie das Rätsel auflöste: »Die Hühner legen Eier, weil wenn sie sie werfen täten, gingen sie kaputt. Ho, ho«, gluckste Herbie. »Ist das nicht ein feiner Witz? Für die Einsendung vielen Dank an Erwin Muggenthaler aus Leichendorf, das liegt in Mittelfranken.«
Das Ergebnis der Obduktion überbrachte der Arzt den drei Ermittlern in der Cafeteria des Krankenhauses, wo Nonnenmacher ein Tofuschnitzel mit Pommes frites, aber ohne Ketchup zu sich genommen hatte. Er konnte nichts Rotes mehr sehen, geschweige denn Fleisch. Als Fritzenkötter erklärte, dass er im Magen der Toten mit dem Milzbranderreger infiziertes Wildfleisch gefunden
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