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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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beinhalten würde. Aus Polizeisicht käme das einer Katastrophe gleich, weil in der Folge die ganzen Besoffenen vor den Wirtschaften herumliegen würden. Denn natürlich würde der Mensch das Trinken nur vor das Gasthaus verlegen, genauso wie er jetzt zum Rauchen hinausging. Der richtige Ort für einen Betrunkenen aber war zweifellos das Wirtshaus. Hier herrschte Sachverstand im Umgang mit Alkohol. Hier war ein berauschter Mensch sicher verwahrt, denn der erfahrene Wirt konnte jederzeit Erste-Hilfe-Maßnahmen ergreifen. Betrachtete man es mit Augenmaß, so musste man zu dem Schluss kommen, dass die Ängstlichkeit der Zeit letztlich nur zu Problemen führte. Vermutlich würde es irgendwann auch eine Führerscheinpflicht fürs Atmen geben, fürs Fahrradflicken und zum Wurstsalatmachen. Wenn die Bevölkerung nicht bald gezielt gegen die Reglementierungswut der Politik anging, würde das Bundesland mit dem Löwen im Wappen früher oder später in »Unfreistaat Bayern« umbenannt werden müssen – so weit hatten es die Bürokraten der EU , die Krankenkassen und die ganze Lobbyistenmeute in Berlin und Brüssel gebracht.
    Sepp Kastner riss den Polizeichef vom See aus seinen düsteren Gedanken. »Ich versteh halt nicht, dass gerade du als Arzt rauchst!«, warf er dem Rechtsmediziner vor.
    Fritzenkötter schüttelte wütend den massigen Schädel. »Die Doden stinken brudal. Da muss ein verantwortungsvoller Badhologe einfach rauchen. Sonst isser selbst dem Dod g’weiht.«
    »In der Pathologie ist das Ihre Sache, aber hier finde ich es einfach asozial«, schaltete Anne sich ein.
    »Gesinnungsterroristen«, raunzte Nonnenmacher. »Hier geht’s um Mord und Totschlag, die Zeit rennt. Da frag ich euch: Wollt’s jetzt wissen, woran der Mattusek verreckt ist, oder wollt’s demonstrieren?« Mit einem Metalllineal erlegte er eine Fliege. »Ich schlag vor, ihr geht’s derweil hinaus, und der Johnny und ich klären das unter Männern.«
    Die Kollegen murrten, aber alle blieben sitzen. Fritzenkötter nahm noch einen tiefen Zug von seiner Zigarette, die schon so weit abgeraucht war, dass es den Filter zusammenzog, warf sie demonstrativ auf den Boden und trat sie mit seinem Joggingschuh aus. »Also: In den Verdauungsorganen war nix. Deswegen kann der Maddusek net an Wildfleisch, das er ’gessen hat, g’storben sein. Dafür hatte er aber Spuren einer gewaltsamen Fesselung.«
    Diese Nachricht schlug am Tisch ein wie eine Arschbombe des Riebensack Christian im Strandbad. Der Riebensack entstammte einer Familie, deren Angehörige bereits seit vier Generationen zu den Schwersten und Dicksten im Tal zählten. Sein Bruder hatte mit dem Verzehr von insgesamt elf Weißwürsten sogar das erste Weißwurstwettessen in Schweinfurt für sich entschieden und für seine außergewöhnliche Leistung ein Preisgeld von fünfzig Euro kassiert.
    »Fesselungsspuren?« Kastner suchte ungläubig Fritzenkötters Blick, während Nonnenmacher mit dem Fingernagel die Fliegenleiche vom Lineal kratzte.
    »Oberhalb der oberen Sprunggelenke, genannt Ardiculatio dalocruralis, welche sich zusammensetzen aus der Malleolengabel und der Sprungbeinrolle, respektive Drochlea dali. Die Malleolengabel wird durch den Innenknöchel des Schienbeins und den Außenknöchel des Wadenbeins …«
    »So genau wollten wir das jetzt gar nicht wissen«, unterbrach Nonnenmacher den Arzt. »War er bloß an den Füßen gefesselt oder auch an den Händen?«
    »Auch oberhalb der Handg’lenke, präzise gesagt, zwischen Speiche und Handwurzelknochen, respektive Ardiculatio radiocarbalis …«
    »Ich glaube, Herr Doktor Fritzenkötter, wir brauchen es nicht präzise«, fiel jetzt Anne dem Arzt ins Wort, woraufhin der wütend schnaubte, sich eine weitere Zigarette aus der Schachtel klopfte und anzündete. »Eine Fesselung spricht für Fremdverschulden.« Anne dachte laut nach. »Kann man denn an solchen Fesselungen sterben?«
    »Des net …«, meinte der Arzt.
    »Mit was war er denn gefesselt?«, mischte sich Nonnenmacher ein.
    »Vermudlich mit zwei Stricke«, erläuterte Fritzenkötter.
    »Am Fundort lag da aber nix rum«, sagte der Dienststellenleiter nachdenklich. »Wer könnte den Mattusek gefesselt und dann wieder befreit haben?« Nonnenmachers Magen knurrte. »Ist er verhungert?«
    »Nein, er is definidiv an einer Andhraxinfektion g’storben, und zwar ziemlich qualvoll«, antwortete Fritzenkötter. »Erst Kopfweh und Fieber, dann Muskelschmerzen, Krämpfe, Koliken, Husten,

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