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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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spürte, dass sie genervt war. Und sie ahnte auch, welche Kommentare Frau Eberhöfer gleich gegenüber ihrem Mann über alleinerziehende Mütter fallen lassen würde. Aber Anne konzentrierte sich darauf, dieses schlechte Gefühl zu verdrängen, schwang sich aufs Rad und sprintete los.
    Als sie in der südlichen Seegemeinde in Richtung Berge abbog, nahm sie beinahe ein offener Wagen auf die Haube – Reifen quietschten, die Fahrerin schrie »Haste noch alle Segel am Mast?«, und ein am Straßenrand stehender Mann im Golfoutfit meinte zu seinem braun gebrannten Rolex-Kumpel: »Die fährt ja wie der Henker, die ist garantiert bei Doktor Fuentes in Behandlung.«
    Aber Anne war das alles egal. Wie ein Stier, der das rote Tuch vor sich sieht, radelte sie die Mautstraße zur Hafner Alm hinauf. Vor dem Haus lehnte sie ihr Mountainbike schwungvoll gegen das unter der Terrasse gestapelte Holz, eilte außer Atem die hölzernen Stufen hinauf und passierte die Vogelkäfige mit den Papageien. Obgleich es bereits kühler wurde, waren die Tische im Freien noch fast alle besetzt. Die Holzfäller waren nicht zu sehen. Deshalb trat Anne zur Tür und riss sie auf. Sofort waren alle Blicke auf die nass geschwitzte Polizistin gerichtet, die Gespräche verstummten, nur noch ein leises Radiogedudel war zu hören. Anne fühlte sich, als wäre sie ein Cowboy und träte in den Saloon, um einen anderen zum Duell aufzufordern.
    Die drei Kollegen des verstorbenen Steff Nachtweih saßen an dem Tisch beim Kachelofen, direkt neben der Küche. Entschlossen trat Anne zu ihnen. »Hallo, darf ich mich setzen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie auf dem freien Stuhl Platz.
    »Was soll das?«, fragte Zernet, seine Glatze verbarg sich heute unter einem Jägerhut. Seine Wangen waren rot, die Augen glasig.
    »Meine Herren, ich habe keine Lust auf lange Faxen. Deshalb komme ich direkt zur Sache.« Ungerührt hob Soder sein halb volles Glas und leerte es in einem Zug. Die anderen beiden sahen Anne erwartungsvoll an. »Ich habe im Wald ein Gewehr gefunden. Und ein Hirschgeweih …« Anne fixierte die drei der Reihe nach.
    Nach einer Pause meinte Soder: »Das ist schön für Sie. Als Polizistin werden’S ja sicher einen Waffenschein haben?«
    »Oder gilt der bloß für Wasserpistolen?«, lachte Zernet.
    Anne, die nach ihrer Radtour allmählich wieder zu einem ruhigeren Atem kam, war angewidert. »Diese Gegenstände befanden sich in Müllsäcken, die in einem verrotteten Baumstumpf versteckt waren.« Anne zögerte den nächsten Satz etwas hinaus, um dem Gesprochenen mehr Gewicht zu verleihen. »Diese Müllsäcke sind identisch mit denen, die Sie verwenden, um Abfälle an Ihrer Schutzhütte zu entsorgen.«
    »Müllsäcke gibt es viele«, meinte Soder gelassen. Anne war sich nicht sicher: Hatte der wild aussehende Vollbartträger gerade gelallt? »Noch ein Helles!«, rief er der Bedienung zu.
    »Auf den Müllsäcken mit dem Gewehr und dem Geweih waren dieselben Fingerabdrücke wie auf einem Müllsack, den ich an Ihrer Schutzhütte sichergestellt habe.« Soder hielt Annes Blick stand. Auch Zernet schien diese Information nicht zu irritieren. Hannawalds Gesichtsausdruck war neutral, nur seine rechte Hand, mit der er den schlanken unteren Teil seines Weißbierglases umfasste, schien kaum merklich zu zittern. »Was sagen Sie dazu?«, wandte Anne sich direkt an Zernet.
    »Nix«, erwiderte jener, auch er schien eine schwere Zunge zu haben. »Nix sagen mir dazu. Weil mir gar nicht wissen, was Sie uns damit sagen wollen, mit dem, was Sie da alles sagen.« Zernet merkte, dass er sich im Dickicht der Worte verheddert hatte. »Ich meine: Was soll das Ganze?«, schob er hinterher.
    »Nun, das hätte ich gerne von Ihnen erfahren«, meinte Anne, die im Laufe des Gesprächs immer ruhiger wurde. »Wie kann es sein, dass Ihre Fingerabdrücke auf im Wald versteckten Müllsäcken sind, in denen sich ein Gewehr und ein Geweih befinden? Wer versteckt Waffen und Jagdtrophäen im Wald? Und warum versteckt jemand Waffen und Jagdtrophäen im Wald?«
    »Im Normalfall macht so was ein Wilderer«, antwortete die Bedienung, die gerade an den Tisch trat, um Soder sein Bier hinzustellen. Erst nachdem sie ihren scherzhaft gemeinten Satz ausgesprochen hatte, nahm sie wahr, dass die drei Holzfäller und die gerade hinzugekommene Frau, die ganz schön schwitzte, nicht in fröhlicher Runde beisammensaßen. »Oh Gott!«, entfuhr es ihr. »Das wollte ich jetzt aber nicht! Ich dachte, ihr macht

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