Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
hatte zu dem Weib von Ascheburgs nie ein gutes Verhältnis gehabt. Sie war einfach keine von ihnen, hatte nicht das erlebt, was sie alle in Münster vereint hatte. Die Holländer gehörten wenigstens auch ihrem Glauben an, doch Tyde war eben von hier. Sie bemühte sich nicht einmal, dazuzugehören. Zwar versuchte sie mehr schlecht als recht sich anzupassen, aber allein der Sprache wegen blieb sie fremd. Sie sprach ein singendes und lang gezogenes Deutsch, ähnlich wie Hiske es tat. Tyde haftete noch etwas anderes an, das sie fremd erscheinen ließ. Vielleicht, weil sie von Ascheburgs Frau war. Der Mann, der neben Krechting und Schemering die Menschen in ihrem Denken und Handeln so lenkte, dass sie funktionierten wie ein Mühlrad, das einmal zum Laufen gekommen war. Doch nun war ein Zahnrad herausgebrochen, und sie mussten es finden, denn sonst würde sich das Rad verkeilen und stehen bleiben. Noch lief es bloß unruhig.
Krechtings und Schemerings Weiber mochte Adele ebenfalls nicht. Sie waren schon in Münster ihr gegenüber herablassend aufgetreten, fühlten sich schon dort als etwas Besseres. Adele hatte es immer gewundert, warum man sie überhaupt mit aus der Stadt hatte fliehen lassen und sie nicht, wie all die anderen, den Mannen des Bischofs von Waldeck zum Fraße hatte vorwerfen lassen. Sie knetete den Brotteig heftiger, als ihr all die Gedanken im Kopf herumtanzten. Immer wieder versuchte sie die Bilder zu vergessen, doch der Geruch von Blut und verbranntem Fleisch, die Schreie derer, die in den Gassen abgeschlachtet wurden wie Vieh, waren nicht zu tilgen. Es gab sogar Momente, wo sie dachte, Jan van Leyden, Knipperdolling und Krechtings Bruder Bernd hätten ihr grausames Schicksal verdient, letztlich waren sie es, die sie alle in diese Lage gebracht hatten. Doch so etwas durfte man nicht denken, sie mussten hier zusammenhalten, an ihr neues Reich glauben. An die Ankunft des Erretters, daran, dass er noch lebte und sie es mit seiner Hilfe schafften, die alte Ordnung wiederherzustellen. Sonst würden sie es in diesem Flecken Einsamkeit, umgeben von Meer und Moor, nicht ertragen. Das Schicksal hatte es noch gut mit ihr gemeint, und doch flüsterten ihr Stimmen zu, dass sie die größte aller Sünden begangen hatte, weil auch sie eine Mörderin war. Auch sie hatte zugestochen, Klingen in die fetten Leiber gejagt. Kindern die Väter, Frauen die Männer und Müttern die Söhne genommen. Doch hatte sie keine Wahl gehabt, sie musste doch überleben, musste rauskommen aus der Hölle. Wie die anderen auch. Sie oder ich, dachte sie jedes Mal. Nur deshalb hatten es Krechting, sein Neffe und von Ascheburg hierhergeschafft.
Nun aber war alles gut, nun nahm das Leben seinen Lauf, und es würde bald besser werden. Sie selbst musste dafür sorgen, und sie war auf einem guten Weg.
Wieder öffnete sich die Tür, aber dieses Mal sah Hiske herein. Sie trug ein Körbchen, das mit den ersten Kräutern gefüllt war, die sie eben geerntet hatte. Viele waren es noch nicht, aber es war ja noch früh im Jahr. Bald würde es anders aussehen. An ihrem Kleid klebte noch das Blut der Geburt, sicher wollte sie gleich ein Bad nehmen.
»Hast du mal kurz Zeit, Adele? Ich habe da eben etwas sehr Merkwürdiges erlebt«, begann Hiske. Kein Wort davon, dass sie nach heißem Wasser oder dem Waschzuber verlangte.
Adele knetete den Teig noch etwas heftiger. »Was denn?«
»Als ich im Kräutergarten war, stand plötzlich ein großer, sehr kräftiger Junge vor mir.« Hiske schluckte. »Er sah verwahrlost aus, konnte nicht sprechen, verstand aber recht schnell die Begriffe, die ich ihm hingeworfen habe. Er hat sie aufgenommen wie ein Verhungernder das Brot. Ich habe ihm aus der Speisekammer etwas zu essen gegeben.«
Adele schwieg. Hiske war also dem Irren begegnet.
»Der Junge scheint eine Art Wilder zu sein, ich habe ihn den Wortsammler genannt, weil er nur ganze Begriffe versteht. Wer ist das, Adele, kennst du ihn?«
»Vergiss ihn. Er ist gefährlich. Wäre besser, wenn er nicht auf der Welt wäre, er bringt Unglück über alle Menschen.«
Hiske fixierte Adele, schien sie mit ihrem Blick an den Bodendielen festzunageln. »Nun raus mit der Sprache, Adele. Der Junge ist nur ein kleiner Teil eures ganz großen Geheimnisses.«
Adele presste die Lippen aufeinander. »Es gab schon einen Toten, reicht dir das nicht, Hebamme?«
»Ich will wissen, warum von Ascheburg sterben musste. Ich will wissen, was es mit dem armen Jungen auf sich hat. Und ich
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