Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
krank, um nicht die Bettstatt zu hüten.«
Die junge Frau hielt abrupt an, jetzt lag ein Blitzen in ihren Augen, das Jan durch Mark und Bein ging. Sie sah ihm direkt in die Augen. »Ihr meint den Mönch?«
Jan schluckte. Es war genauso gekommen, wie er es in seinen schlimmsten Gedanken befürchtet hatte. »Woher wisst Ihr?« Er zupfte Hiske am Ärmel. Doch sie wischte seine Hand unwirsch weg und eilte weiter. »Dafür muss man kein Hellseher sein, Medicus. Wie ist denn Euer werter Name?«
»Jan Valkensteyn. Ich komme aus Amsterdam und habe meinen Freund, welchem Glauben er auch immer angehört, mitgebracht. Er ist schwer krank und braucht Hilfe. Wisst Ihr, wo er steckt?«
Sie waren am Burghof angekommen. »Er liegt neben dem Ofen in dem Haus, in dem ich lebe, und schläft.«
»Bitte, wie geht es ihm?« Jans Stimme war in dem Augenblick sehr eindringlich, sodass Hiske doch noch einmal anhielt. »Ich habe ihn gut versorgt, Medicus. Wenn Ihr mich jetzt bitte meine Arbeit machen lassen würdet?«
»Eins noch: Wer ist der Junge?«
Hiske stockte, schien über die Frage überrascht. »Warum interessiert Euch das?«
Jan atmete tief ein, er durfte jetzt keinen Fehler machen, dann würde ihm die Frau nicht weiter zuhören. »Es kursieren schlimme Gerüchte, Hebamme. Er ist in Gefahr. Und Ihr auch.«
Hiske wurde einen kurzen Moment blass, fing sich aber rasch wieder. »Das bin ich ja schon gewöhnt.« Ihre Stimme wurde weicher. »Aber wir können uns später treffen, und Ihr könnt mir berichten. Wenn ich das hier erledigt habe.«
Jan nickte. Das war mehr, als er erwartet hatte.
Der Knabe beobachtete das Haus, in dem die Lebenspflückerin lebte. Sie hatte einen dicken Mann mit hineingenommen. Einen, der gestern übers Meer gekommen war. Er war nicht wieder herausgekommen. Der Mann konnte nur schwer atmen, das hatte der Junge sofort gesehen, aber die Lebenspflückerin würde ihn gesund machen. Sie konnte alles. Sie hatte ihm auch einen Namen gegeben und ihm Worte geschenkt. Worte, mit denen er nun selbst welche bilden konnte.
Jetzt war sie zur Burg aufgebrochen, dabei war ihr ein anderer Mann begegnet. Der Knabe war unruhig. Es war nicht gut, wenn sie zum Burghof ging. Dort drohte Gefahr, ganz bestimmt. Überall drohte ihr Gefahr. Die Lebenspflückerin war nirgendwo mehr sicher. Genau wie er selbst. Bislang hatte er alle Gefahren hingenommen, doch seit er die Lebenspflückerin kannte, fürchtete er den Tod, wollte leben, weil es einen Menschen gab, von dem er noch so viel lernen wollte. Das Leben bestand nicht mehr einzig darin, einem Huhn oder Hasen den Hals umzudrehen, es war nicht nur dieses ewige Suchen nach etwas Essbarem oder einer Schlafstätte. Da war etwas anderes hinzugekommen. Ein Gefühl, das stärker als die Bauchfreude war, ein Gefühl, das sich warm anfühlte und sein Herz schneller klopfen ließ. Es fühlte sich schöner an als alles andere, was er bislang erlebt hatte.
Hiske trat in Tydes Gemach und fand sie unter einem Berg von Decken. Nur ihre Nase stach aus dem Gewirr hervor. Hiske nahm alles beiseite und legte ihre Hand auf Tydes Bauch. Er wurde in kurzen Abständen immer wieder hart, allerdings nur für eine kurze Zeit. Hiske untersuchte Tyde. Der Muttermund war weich, aber kaum verkürzt, das Kind lag ein bisschen zu tief, doch mit etwas Glück konnte man die Schwangerschaft wieder stabilisieren. Auf jeden Fall galt es, rasch etwas zu unternehmen. Hiske suchte in ihrem Bündel. Ganz unten hatte sie ein Öl, das sie sich zurechtgemixt hatte. Und etwas Hopfen, den es in Jever gab, in der Herrlichkeit jedoch nicht. Sie hatte ein paar der Inhaltsstoffe von einem weit gereisten Krämer auf dem Markt in Jever erstanden und seit ihrer Ankunft hier schon oft überlegt, wie sie an diese außergewöhnlicheren Zutaten herankam, denn einen Markt mit fliegenden Händlern gab es hier nicht. Das Öl enthielt Rosenholz und Majoran sowie Nachtkerzensamen und Weizenkeime. Damit rieb sie den schon deutlich gerundeten Leib der Schwangeren ein, sprach dazu tröstende Worte, bat die guten Mächte um Hilfe und um Ruhe für die werdende Mutter. »Nun bleibst du im Bett, bis der Bauch sich beruhigt hat, danach kannst du wieder aufstehen und dich bis zur Niederkunft schonen. Ich rede mit deiner Herrin, damit sie Rücksicht nimmt. Du kannst sticken und andere Handarbeiten machen, aber sonst nicht arbeiten.«
»Mache ich ohnehin. Das Kind stirbt also nicht?«
Hiske schüttelte den Kopf. »Wenn du vernünftig bist,
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