Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Schlafstätte im Stall. Wenn Krechting und Schemering nicht bald eine Lösung fanden, würden die Menschen hier zu meutern beginnen. Dann genügte es nicht mehr, ihnen Gaukler und Minnesänger zu schicken und sie Tag für Tag zu vertrösten. Auch die Zusammenkünfte in der Burg würden nicht mehr ausreichen. Wenn Menschen auf zu engem Raum hausten, war das nicht nur eine Brutstätte für Krankheiten, die Leute reagierten auch wie zu eng zusammengepferchte Ratten, vergaßen jedes soziale Verhalten und gingen aufeinander los.
Der Mord an von Ascheburg war sicher nur ein Anfang. Die Menschen waren unzufrieden, wirkten größtenteils ohne Hoffnung. Das sah man an ihren Gesichtern. Sie hatten ihre Heimat mit all ihrem Hab und Gut verlassen, um sich hier ein neues Leben aufzubauen. Doch das Einzige, was sie erlebten, war ein Lager voller Dreck und Entbehrungen. So konnte es nicht weitergehen.
Das Vorhaben, sich den Jungen zu greifen und als schuldig darzustellen, hielt er für einen großen Fehler, denn das würde den Mörder nicht davon abhalten, ein weiteres Mal zuzuschlagen. Er glaubte nicht daran, dass es eine einmalige Tat war, denn der misslungene Anschlag auf Krechting sprach eine andere Sprache. Schemering aber war so überzeugt von seiner Idee. Als Jan die Männer mit ihren Stangen loslaufen sah, war klar, dass Schemering sich Krechting gegenüber durchgesetzt hatte. Es wurmte Jan, dass er es nicht hatte verhindern können.
Er sah zum Fenster hinauf und erkannte Hiske, die ihre Sachen zusammensuchte. Er musste folglich nicht mehr lange auf sie warten, und was er mitteilen musste, würde sie nicht fröhlich stimmen.
Mittlerweile herrschte an der Burg schon ein lebhaftes Treiben. Über den Feuern hingen Töpfe, aus denen es unterschiedlich duftete. Ein Marktweib bot frischen Fisch feil, der in der Nacht im Brack gefischt worden war; der mit den Holländern neu angekommene Spielmann rüstete eben seine Bühne auf und hatte seinen Affen daran angebunden. Ein Hund verbellte ihn, Kinder liefen schreiend darum herum und streckten dem Tier die Zunge heraus. Die Weiber im Wagen dahinter keiften sich an wie immer.
Jan wurde aus seinen Beobachtungen gerissen, als Hiske in den Burghof trat. Der Tag war schon recht warm, und die Ausdünstungen der Menschen sowie der Kochstellen waberten über den Hof. Die Essensdämpfe vermischten sich mit den Gerüchen des Abtritts zu einer widerlichen Mischung. Hiske rümpfte die Nase, als sie durch die enge Gasse an den Menschen vorbeieilte, die gerade dem Gaukler zujubelten.
»Morgen schluckt er das Schwert«, hörte Jan und wunderte sich darüber, wie Menschen sich an solchen Sachen erfreuen konnten.
»Ihr habt ja tatsächlich gewartet«, sagte Hiske. Sie lächelte ihn an, eine Reaktion, mit der er nicht gerechnet hatte.
»Es ist wichtig. Können wir ungestört irgendwo miteinander reden?«
Hiskes Lächeln verschwand augenblicklich. »Ihr scherzt. Schaut Euch doch um! Hier hat jede Ecke Ohren und jeder Wagen, jeder Busch Augen. Es gibt nichts, was man nicht bemerkt.« Sie hielt kurz inne. »Außer, sie bringen jemanden um.«
Jan nickte. »Ihr habt recht. Geht Ihr zurück nach Hause? Dann möchte ich Euch sehr gern begleiten.«
Hiske warf ihr Bündel über die Schulter, lehnte ab, als Jan ihr anbot, es für sie zu tragen. Er lächelte über ihre Eigenwilligkeit, zuckte kurz mit den Schultern und lief eine Weile schweigend neben ihr her, bis sie das Lager ein Stück hinter sich gelassen hatten.
»Was gibt es denn so Wichtiges, Medicus? Ich habe mich um Euren Mönch gekümmert, er ringt mit dem Tod. Ich habe etwas probiert, was mir meine Lehrmeisterin beigebracht hat.«
Jan runzelte skeptisch die Stirn. Er hielt nicht immer viel von dem, was die Kräuterfrauen so zusammenzauberten.
»Mit ihr habe ich oft Dinge probiert. So haben wir auf eiternde Wunden schimmeliges Brot oder Lappen gelegt, und oft haben sie sich sauber wieder verschlossen.« Sie blickte Jan an und lächelte. »Keine Sorge. Dem Mönch habe ich einen Spezialsud aus Kräutern gekocht und ihn die heißen Dämpfe atmen lassen. Das wird ihm guttun, wenn er es mehrmals macht. Das hat schon so manches Mal den schlimmsten Husten geheilt. Dazu Ruhe, viel trinken. Ich habe ihm auch Holundersaft gegen die Hitze gegeben und Wickel aus Quark und Zwiebel gemacht. Mit ein bisschen Glück ist er bald wieder wohlauf.«
Jan schluckte. Die Hebamme verfügte über mehr Wissen, als er dachte. Obwohl er dem Schimmelpilz auf Wunden
Weitere Kostenlose Bücher