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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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er nun nicht mehr. Er lag in seinem Garten. Er hatte ihn dort gesehen, neben den runden Strunken, aus denen die Leute Suppe kochten.
    Der Wortsammler weinte weiter. Er hatte sich erschrocken, als er den lauten Mann so gesehen hatte, wusste nicht, warum. Es war wie beim ersten Mal, als er das Blut angefasst hatte. Kaum war er dem Schrecken begegnet, kannte er ihn nicht mehr. Es war, als habe sich ein dunkles Tuch über seine Erinnerung gelegt und decke sie gnädig zu, denn was er gesehen hatte, war grausam, und er wollte keine Gedanken daran haben. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er eine Stimme gehört. Sie war ihm vertraut, gehörte aber nicht zur Lebenspflückerin. Er erinnerte sich an ein Summen in seinem Ohr, an Arme, die sich um ihn legten, den unterschwelligen Geruch von Schweiß, der ihm aber nicht unangenehm war. Er hatte etwas von Liebe gehabt. Doch dann war das Weib weg gewesen. Es war wie ein Nebelspiel seiner Gedanken.
    Der Wortsammler erinnerte sich daran, dass er den Nebel hatte festhalten wollen und doch mit seinen Händen nur ins Leere gegriffen hatte. Das Weib war wie die Bienen, die ein weiches Äußeres hatten und doch einen Stachel bargen, mit dem sie erbarmungslos zustachen, wenn sie wollten. Sie hatte ihn verletzt, als sie ihn einfach vergessen hatte, und der Stachel saß bis heute. Nachdem sie ihn damals verlassen hatte, war er allein durch das Moor geschlichen, hatte sich immer wieder in der Nähe der Burg aufgehalten, damit er etwas zu essen bekam.
    Der Kloß im Hals wurde nicht weniger, es war, als habe sich das eingesperrte Meer in ihm geöffnet und überflute den Damm, der das Wasser nicht länger halten konnte. Er wusste nun, warum er verhindern musste, dass der laute Mann mit seinen Arbeitern das Meer in seine Grenzen wies. Es konnte genauso wenig eingesperrt sein wie er. Er hatte alles richtig gemacht. Und doch saß er nun allein in dieser Scheune und war unendlich traurig.
    Das Tor öffnete sich, und ein Mann trat herein. Ihm folgten ein zweiter und ein dritter, bis der Wortsammler schließlich umzingelt war. Er sah nicht auf, als sie seine Hände mit derben Seilen auf den Rücken schnürten, und er sah nicht auf, als sie ihn aus der Ecke zerrten und bis zur Burg schleppten. Als er über den Burghof stolperte, streiften ihn Worte, die wehtaten, obwohl er ihre Bedeutung nicht erfassen konnte. Die Menschen spuckten ihn an, traten nach ihm und rissen an seinem Haar. Die Kinder warfen mit Stöcken nach ihm, ein paar wählten sogar Steine. Aber der Schmerz war nicht so groß wie der, dass man ihm nun die Sonne nahm und das Wissen darüber, dass er die Lebenspflückerin in seinem Leben nicht wiedersehen, geschweige denn berühren durfte.
    Jan stand auf und folgte Hiske in den Kräutergarten, der völlig verwüstet war. Alle zarten Pflänzchen waren heruntergetreten, die Beete sahen aus, als habe eine Horde Wildschweine in ihnen gewütet. Jan griff nach Hiskes Arm, doch sie streifte seine Hand ab. Es war keine Bewegung, die ihm signalisierte, dass es ihr lästig war, sondern eher eine gewisse Panik, die es ihr unmöglich machte, diese Nähe zuzulassen. Sie stolperte weiter, bis sie an die Begrenzung des Gartens gelangt war. Dort blieb sie stehen, zeigte auf den Boden und wankte leicht nach hinten, sodass Jan sie auffangen musste. Erst erkannte er nicht, was Hiske so aufregte, doch dann sah auch er Tyde.
    Sie war tot, daran gab es keinen Zweifel.
    »Was wollte sie hier, Jan?« Hiske war zum »Du« übergegangen. Sie wandte ihren Kopf ab und lehnte ihn nun an seine Schulter. Jan setzte für einen Augenblick das Herz aus, er war versucht, seine Hand durch das dichte schwarze Haar fahren zu lassen, doch im letzten Moment hielt er sich zurück.
    »Sieh nicht hin!«, sagte er.
    Tyde war in der Tat kein schöner Anblick. Ihr Kopf schwamm in einer blutigen Lache, und auch ihr Rock war völlig durchgeblutet. Vermutlich hatte noch kurz vor ihrem Tod die Geburt eingesetzt.
    »Ist sie bei der Geburt gestorben oder hat jemand nachgeholfen?«, fragte Hiske, löste sich aus Jans Arm und war wieder ganz die Hebamme, die vor nichts zurückschreckte. Jan bewunderte ihre Haltung. Sie war eine ungewöhnliche Frau, so ganz anders als alle, die er kannte.
    Hiske begann Tyde zu untersuchen. Sie musste wissen, ob sie bei der Geburt des Kindes gestorben war und es nur nicht mehr bis zu ihr geschafft hatte. »Sie sollte liegen bleiben, ich hatte Bettruhe angeordnet. Der Weg hierher war viel zu anstrengend.

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