Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
machten ihr Angst. »Es ist ein Kristall darauf abgebildet, und der schützt vor dem Bösen.« Hiske kannte Eltern, die ihren Neugeborenen einen Kristall in die Wiege legten, damit ihnen nichts Böses geschah. »Es muss aber alles nichts mit dem Mord zu tun haben«, sann sie weiter. »Er kann aus ganz anderen Gründen ums Leben gekommen sein. Und: Was sollte der Kristall mit uns allen zu tun haben?«
Hiske war nur froh, dieses Mal keinesfalls als Mörderin in Betracht zu kommen. Sie hatte ein Kind auf die Welt geholt und die Frau des Bäckers nicht einen Augenblick allein gelassen. Das war aber auch das einzig Gute. Hiske überlegte angestrengt. Friso war in der Neustadt ums Leben gekommen, gewohnt hatte er aber in der
Krocht
, das war nicht weit von ihrer Kate entfernt. Sie schrak zusammen. Wo waren der Wortsammler und Garbrand in der Nacht gewesen? Sie hoffte, im Haus und in ihrer Bettstatt. Wenn sie sich draußen herumgetrieben hatten, dann konnte nur Gott seine schützende Hand über die beiden legen. Wie schnell die Menschen mit Vorverurteilungen dabei waren, wenn sie einen Schuldigen brauchten, hatte sie oft genug erlebt.
Hiske beruhigte sich wieder. Garbrand war unvorsichtig gewesen, hatte vergessen, den Krug Genever wieder zu verstecken. Also hatte er hier gezecht, während er auf den Wortsammler aufpasste. Sie waren folglich im Haus gewesen. Doch gerade, als sie sich entspannt zurücklehnen wollte, zuckte sie zusammen. Ihr fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Garbrand war nicht nachlässig gewesen. Er hatte nicht vergessen, den Genever vor ihr zu verstecken. Irgendetwas war geschehen, was ihn dazu veranlasst hatte, ihr Haus überstürzt zu verlassen. Erst danach hatte er entweder nicht mehr daran gedacht, den Krug zu verbergen, oder es nicht mehr vor ihrem Eintreffen geschafft, ihn verschwinden zu lassen. Sie musste dringend mit dem alten Mönch reden. Sie befürchtete, dass er eine Menge über den Abend wusste, was sie besser auch wissen sollte.
Als es klopfte, zuckte Hiske zusammen. Jan steckte den Kopf zur Tür herein. Hiske ordnete rasch ihr Haar, wusste aber gleichzeitig, dass es nichts zu ordnen gab. Sie war völlig übernächtigt, und das sah man ihr an.
»Du siehst müde aus. Hast du noch gar nicht geschlafen?«, fragte Jan und setzte sich zu ihr an den Küchentisch. Sie hatte es nicht einmal geschafft, sich zu erheben. Seine Stimme klang warm und besorgt.
Hiske schüttelte den Kopf. »Mir gehen so viele Sachen durch den Kopf. Ich kämpfe gegen dieses Marschenfieber an, mir sterben die Kinder und Alten unter den Händen weg. Dann der Tote im Siel.«
»Weißt du, dass er sich auf den Weg zu dir gemacht hat?«, stieß Jan hervor.
Hiske sah ihm die Empörung an. Sie schüttelte den Kopf. »Wer? Friso van Heek?«
»Ja, genau der«, bestätigte Jan.
»Er war mir«, Hiske machte eine Pause, »unangenehm. Was sollte er auch schon von mir wollen? Ein Kind wird er kaum unter dem Herzen getragen haben, dem ich auf die Welt helfen sollte.« Sie lachte leise auf, aber es klang nicht fröhlich.
Jan zog die Brauen hoch. »Er war auf dem Weg zu dir, weil er dir die Ehe anbieten wollte.«
»Die Ehe?« Hiske lachte nun doch laut auf. »Das ist jetzt nicht dein Ernst. Der Mann wollte mich heiraten? Mich, das Kräuterweib, die freigesprochene Hexe? Das ist ein schlechter Witz, Jan. Mich heiratet niemand, und schon gar kein wohlhabender Mann wie Friso van Heek. Er hat ganz andere Möglichkeiten, die sicher auch seinen Reichtum mehren würden. Das ist doch solchen Männern das Wichtigste überhaupt.« Hiske hatte sich in Rage geredet, so, als ob ihre vielen Worte die Aussage des Arztes ad absurdum führen könnten. Es konnte, es durfte nicht sein, denn wenn das die Runde machte, stände sie wieder im Mittelpunkt der Ermittlungen, und sie wollte nur eines: ihre Ruhe.
Jan aber schüttelte den Kopf und ergriff Hiskes Hand. »Das hat er dem Wirt der
Krocht
erzählt. Friso van Heek wollte dich suchen und dir einen Antrag machen.«
»Ich fasse es nicht. Ich hätte abgelehnt.«
»Ich weiß«, sagte Jan, kam ihr aber nicht näher.
Hiske schien es, als wären ihm diese beiden Worte, worin so viel mitschwang, herausgerutscht und als bereue er sie bereits wieder.
Jan ließ ihre Hand los, stand auf und sah aus dem Fenster. Die Sonne stand schon tiefer, und doch würde es noch lange dauern, bis die Nacht über die Herrlichkeit hereinbrach.
»Er war ziemlich betrunken, als er die
Krocht
verlassen hatte«, grübelte
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