Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
flickt ihren Rock im Schein der rußigen Unschlittkerze.
»Wo hast du das Medaillon? Es muss uns schützen«, flüstert das Kind.
»Du meinst den Meerkristall?« Mutter steht auf, durchwühlt eine Truhe und zaubert das Medaillon hervor. Jetzt klappt sie es auf, und das Kind sieht darin einen glasklaren Stein auf blauem Samt.
Sieht aus wie eine Träne, denkt das Kind.
Mutter legt das Schmuckstück zurück, häuft Stoffe darüber und setzt sich wieder an ihre Näharbeit. »Ich habe ihn versteckt. Hier sind jetzt viele Fremde in der Kammer.«
Das Kind nickt, während die Mutter weiterspricht. »Ich streichle die Männer ein bisschen, ihnen fehlt das. Dafür bekommen wir ein Stück Brot. Aber es ist besser, wenn sie das Medaillon nicht sehen. Es hat viel Kraft und schützt uns auch so. Mit Gottes Hilfe.« Sie sieht das Kind die ganze Zeit nicht an, so als schäme sie sich dessen, was sie tut. Das Kind aber weiß jetzt, warum das alles geschehen ist. Das Medaillon hat nur Kraft, wenn es Mutters Haut berührt.
»Möchtest du etwas essen und trinken?«, fragt Mutter und sieht das Kind zum ersten Mal richtig an. In dem Augenblick gleitet ein Erkennen über ihr Gesicht. Sie springt auf, lässt sich aber wieder auf den Stuhl fallen. Ihre Hände zittern, der Rock gleitet mit einem leisen Rascheln zu Boden.
Das Kind steht da. Rührt sich nicht vom Fleck. Es tropft noch immer aus ihm heraus.
Die Mutter schweigt, schluckt. Fragt nicht. Streicht dem Kind kurz übers Haar. »Ich muss dir was zum Anziehen suchen. Du läufst nicht herum, wie es sich ziemt.« Sie springt auf, stürzt wieder zur Truhe, stützt sich dort mit beiden Händen an der Wand ab und würgt.
Das Kind sagt: »Die wollten nur wissen, ob ich ein Junge oder ein Mädchen bin.«
Die Mutter wendet sich dem Kind zu, ihre Augen wirken zu groß in den dunklen Höhlen. »Dann ist ja gut«, lächelt sie, zerrt ein paar Beinkleider aus der Truhe, die sie einfach mit einer Schere kürzt. Anschließend zieht sie dem Kind die verschmutzten Sachen aus und wäscht ihm das Blut ab, das sich nach wie vor nicht stillen lässt und auf dem Boden eine kleine rote Lache bildet.
7. Kapitel
Hinrich Krechting hatte sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere gewälzt und war froh, mit dem ersten Hahnenschrei aufstehen zu können. Zu sehr hallte noch das Gespräch mit Hebrich von Knyphausen in ihm nach. Er war gestern ein weiteres Mal zu ihr auf die Burg gegangen, wollte diese Schmach, dass er mit einem ehemaligen Mönch arbeiten sollte, abwenden. Er hatte so viel erduldet in den letzten Jahren. Dies aber wollte und konnte er nicht mehr ertragen.
Hebrich war kalt zu ihm gewesen, sehr entschlossen und schon gar nicht gewillt, auf sein Ansinnen einzugehen. »Im Morgengrauen wird eine Kraweel in Richtung Emden in See stechen, und Ihr werdet mit Dr. Westerburg fahren. Ich habe Johannes a Lasco mit dem letzten Schiff bereits eine Depesche zukommen lassen. Er erwartet Euch in Emden auf der Burg.«
Krechting hatte geschluckt. Hebrichs Beschluss war damit unumstößlich, es würde zu einem Affront mit dem Superintendenten kommen, wenn er sich nicht fügte.
»Es wird Zeit«, hatte Hebrich weitergesprochen. »Den Mord können Wolter und Valkensteyn samt Kremer aufklären. Für mich hat er keine große Bedeutung, wir kannten Friso van Heek nicht. Er war keiner von uns, kam noch nicht einmal aus Ostfriesland. Vermutlich ist es ein Streit mit einem der Seeleute gewesen, denn warum sollte einer von uns den Kaufmann ermorden? Es gibt keinen triftigen Grund, dass Ihr länger in der Herrlichkeit weilt, wo es doch in Emden so viele wichtigere Dinge zu erledigen gibt.«
Krechting fand die Schlussfolgerungen seiner Herrin nur bedingt logisch, wagte aber nicht, ihr zu widersprechen, zumal er keine anderen Argumente vorbringen konnte.
Auf dem Weg zurück zur
Olden Krochtwarft
, wo er mit seiner Frau Elske lebte und eine Hofstelle nebst Bienen bewirtschaftete, hatte er versucht, sich mit dem Gedanken, die Herrlichkeit eine Weile zu verlassen, anzufreunden. Hier ging doch alles seinen gewohnten, langsamen Trott, Veränderungen gab es nur, wenn er sie selbst anschob, so wie den weiteren Bau der Neustadt. Emden würde ihm ganz andere Möglichkeiten bieten, seinen Horizont erweitern. Es tat ihm bestimmt gut, mal wieder unter andere Menschen zu kommen, mit ihnen zu diskutieren, Gespräche über den Glauben zu führen. Immerhin sprach man bereits vom Genf des Nordens und davon, dass Emden neben
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