Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
Vom Netzwerk:
rühmten, dass es nicht einen Papisten mehr im Herrschaftsgebiet gab. Wenn Garbrand das hörte, krampfte sich in ihm alles zusammen. Dann kamen die Bilder aus England hoch. Die Bilder der Nächte, in denen sie angegriffen wurden, bis die Eindringlinge es endlich geschafft hatten, in die Klostermauern vorzurücken und alle Mönche und Siechenden auf die Straße zu treiben. Wen sie erwischten, dem wurde der Kopf vom Körper getrennt oder das Schwert in die Eingeweide getrieben. Mitleid gab es weder für die Kranken, die zuhauf an den Wegrändern starben, noch für die Mönche, die um ihr Leben flehten.
    Garbrand drehte sich abrupt um, hebelte die Bodendiele heraus und schenkte sich etwas von dem Giftwasser ein, sonst konnte er nicht ertragen, was sich immer quälender vor sein inneres Auge schob. Als er sich damals völlig verarmt und halb verhungert durch die Straßen Londons getrieben hatte, war ihm ein Mann entgegengekommen. Er trug einen Rock aus kostbarem Stoff, hatte gut gearbeitete Schuhe an, die seine Füße ausreichend vor Schmutz und Nässe schützten. Seine Beinkleider waren aus feinstem Leinen, das Wams war kunstvoll bestickt, und am Barett wippte eine Feder. Dazu war ein breites Lächeln in sein Gesicht gemalt, das an Arroganz nicht zu überbieten war.
    Garbrand hatte gewagt, sich dem Mann zu nähern, denn der sprach mit einem anderen darüber, dass er nach Holland reisen wolle und das Schiff am nächsten Morgen ablegen würde. Am Hals des Mannes hatte ein silbernes Medaillon gehangen, in dessen Mitte ein Kristall im Meer eingearbeitet war. Doch als Garbrand um eine Auskunft bat, hatte der Mann ihn weggestoßen und ihn einen faulen Lumpensack genannt. »Verzieh dich zurück in die Gosse und spiel weiter mit den Flöhen deiner Ratten!«, waren seine Worte gewesen. Garbrand erinnerte sich noch sehr gut an jede einzelne Silbe. Auch daran, dass er, als er sich in der Nacht dem Schiff genähert hatte, um es als blinder Passagier zu besteigen, dem Mann ein weiteres Mal begegnet war. Plötzlich hatte der Mönch eine Klinge am Rücken gespürt. Er hatte sich blitzschnell umgedreht, dem Mann das Messer entwunden und es mit einer unkontrollierten Bewegung in das fremde Fleisch gerammt. Garbrand erinnerte sich an warmes Blut, das ihm über die zerfetzte Kleidung geschossen war, an den Aufschrei und die lange Wunde, die die weiße Haut wie eine tiefe, rote Schlucht teilte. Anschließend war das kalte Wasser der Themse über seinem Kopf zusammengeschlagen, denn der Mann hatte nicht eine Sekunde gezögert, ihn in den Hafen zu stoßen. Bevor ihn das Gewicht der nassen Kleidung nach unten zog, schaffte er es mit letzter Kraftanstrengung, den Kopf aus dem Wasser zu bekommen und sich irgendwie an eines der Schiffstaue zu klammern. Es grenzte an ein Wunder, dass er aus dem Wasser herauskam. Als er schließlich völlig ermattet den Kopf auf das Hafenpflaster gelegt hatte, war ihm ein einziger Wunsch über die Lippen gekrochen: »Lass mich diesem Ungeheuer nie wieder begegnen.« Gott hatte ihn nicht erhört.
    Klaas Krommenga hatte sich den Nachmittag über am Siel aufgehalten, seinen bösen Fantasien nachgehangen und sich darüber gefreut, wie gut das Schicksal es nun mit ihm meinte. Zum ersten Mal in seinem Leben war er eins mit sich und konnte den Moment genießen. Wenn da nicht dieses Stechen im Herzen wäre, das sich immer wieder meldete und zwischenzeitlich so stark war, dass es ihm die Luft nahm.
    Es war ihm ein Vergnügen, die kleinen einlaufenden Schiffe zu betrachten, zuzusehen, welche Ladung sie löschten. Zwischendurch schloss er die Augen, gab sich den Geräuschen und Düften hin. Vom Schwarzen Brack her roch es fischig. Die Fischer schoben polternd ihren Fang auf Karren an ihm vorbei. Hinzu kam der Duft von Safran und Pfeffer, wenn eine Kiste mit Gewürzen die Schiffsplanken verließ, und der von Seife, als ein Behälter davon abgeladen wurde. Dazwischen drängten sich die unterschiedlichen Sprachen der Menschen. Sie sprachen deutsch, holländisch, flämisch und immer wieder platt. Ein Wirrwarr, und doch kamen sie alle miteinander zurecht. Was immer gleich klang, war das Lachen der Männer. Und es fiel auf, weil es nur selten vorkam.
    Als Krommenga genug hatte, machte er sich auf den Rückweg, um ein kurzes Schläfchen in seiner Kammer beim Bader zu halten. Schon von Weitem sah er die Hebamme durch die Straße eilen. Ihre Mimik war so starr, als habe man ihr mitten ins Gesicht geschlagen. Ihre Zähne hatten sich

Weitere Kostenlose Bücher