Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
wechselten sich mit Entenkeulen und Wildschweinbraten ab, dazu gab es frisches Brot und Rotwein.
Die Männer ließen sich nieder und genossen von diesem Platz aus den atemberaubenden Blick auf die Ems und die vorbeifahrenden Schiffe. Zunächst taten sie sich an den Speisen gütlich, genossen den Wein, der ihnen aus grünbauchigen Karaffen in Gläsern serviert wurde. »Glas aus Holland«, sagte a Lasco. Krechting wollte ihn nicht brüskieren und verschwieg, dass auch Hebrich solche Kostbarkeiten ihr Eigen nannte.
Schließlich lehnte sich a Lasco zurück. »Die Schwierigkeiten sind nicht weniger geworden in den letzten Jahren«, hob er an. »Ich kümmere mich um die Kirchenzucht und den Kirchenrat, setze mich mit den praktizierenden Täufern und Mönchen auseinander und habe erst vor zwei Jahren das alte Kloster Abbingwehr bei Loppersum von der Gräfin erworben. Dort versuche ich, im Schoße meiner großen Familie ein wenig Entspannung zu finden.«
In Krechting krampfte sich etwas zusammen. Johannes a Lasco lebte sehr gut in Emden und in seinem alten Kloster. Auch wenn a Lasco ein Reformer war, so hatte er, Krechting, es doch ihm und Gräfin Anna zu verdanken, dass es das Neue Jerusalem nie geben würde. Er war es, der das Täufertum in Schach halten wollte. Doch der Jurist besann sich auf seine Vernunft. Er wollte das Beste aus der Situation machen, und das würde er auch tun. »Dann habt Ihr ja Großes geleistet in der vergangenen Zeit«, brachte Krechting hervor und versuchte ein Lächeln. Verdammt, was fiel es ihm schwer! Wenn er standhaft, aber gehorsam blieb, gab es für ihn die besten Möglichkeiten, etwas für seine ehemaligen Glaubensbrüder zu tun. Nur wenn er Einfluss und Macht hatte, konnte er die zukünftige Gestaltung der Herrlichkeit Gödens lenken. Hinzu kam, dass er ein anständiges Erbe für seine Kinder hinterlassen musste. Für viele der Mennoniten in der Neustadt galt er als Schwächling, weil er keiner ihrer Brüder mehr war. Sie erkannten einfach nicht die Notwendigkeit seines Handelns und unterstellten ihm einzig wirtschaftliche Gründe für sein Tun. Dieses Misstrauen sah er als Strafe, die er zu ertragen hatte.
Johannes a Lasco hatte, während Hinrich seinen Gedanken nachhing, weitergesprochen, doch Krechting war so abgelenkt gewesen, dass er dem Gespräch nicht mehr hatte folgen können. Glücklicherweise schien Dr. Westerburg aufmerksamer gewesen zu sein. »Das sind schwierige Aufgaben, die Ihr Euch stellt. Wir sind hier, um das Armenwesen der Stadt zu studieren und es vielleicht auf unseren neu gegründeten Flecken zu übertragen. Die Armut ist groß, und es muss dringend etwas geschehen.«
Johannes a Lasco lächelte. »Wie sagt das calvinistische Denken so wunderbar: Sozial ist nicht, wer das Geld anderer Leute verteilt, sondern wer dafür sorgt, dass es überhaupt etwas zu verteilen gibt. So kann man es auch sehen.«
Krechting nickte. »Welche konkreten Pläne aber habt Ihr?«
»Die Armut soll, so weit es geht, eingeschränkt werden. Das alles in einer Gemeinde, die durchaus gut geordnet ihren Aufgaben nachgeht. Bettler wollen wir nicht.«
»Aber wie wollt Ihr diese Dinge umsetzen?«, hakte Krechting nach. So ganz klar war ihm das nicht.
»Irgendwann in den nächsten Jahren möchte ich eine ›Diaconie der Fremdlingen Armen binnen Emden‹ gründen, aber dazu bedarf es noch einiger Vorbereitungen.«
»Wie können wir uns so etwas vorstellen?« Dr. Westerburg beugte sich interessiert vor.
»Diese Diakonie soll von der Kirche unabhängig sein, aber durchaus kirchlich orientiert. Genaueres muss ich noch erarbeiten. Aber – es stehen noch so viele andere Dinge an, ich fürchte, es werden noch etliche Jahre ins Land gehen, bis ich diese Visionen umsetzen kann. Ganz oben auf meinem Papier steht eben noch der Coetus der reformierten Prediger, das füllt meine ganzen Tage.« Er fixierte Westerburg: »Und ich würde es sehr begrüßen, wenn Ihr bei den wöchentlichen Zusammenkünften sehr häufig zugegen wärt.«
Der Nachtisch wurde serviert, und die Männer genossen die aufgetragenen Süßspeisen und das Obst. Anschließend erhoben sich Krechting und Dr. Westerburg. »Wir empfehlen uns vorerst, werden aber während unseres Aufenthaltes sicher noch öfter das Vergnügen haben.«
»Das hoffe ich doch! Es ist immer wieder ein Genuss, auf Gleichgesinnte von hohem Geist zu treffen.«
Hiske saß am Küchentisch, den Kopf in die Hände vergraben.
Als sie vor zwei Tagen völlig erschöpft
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