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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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Jan dann frei für mich ist. Doch der letzte Anstand schwand, als sich das Gesicht des Fremden vor das ihre schob und sie seine Drohungen erneut im Ohr hatte. Anneke griff in die Rocktasche und umschloss die Glieder der Kette. Sie brannten noch immer wie Feuer. Er wusste zu viel. Der Fremde hatte einen stechenden Blick gehabt, und Anneke war unsicher, ob Grieta, die immer wieder behauptete, es gäbe den Satan, nicht doch vielleicht recht hatte.
    »Du musst gehen, Wortsammler. Bitte!«, hörte sie sich sagen. »Du musst ins Moor, die Lebenspflückerin hat es mir extra gesagt! Du hilfst ihr nicht, wenn du hierbleibst! Du musst fort, verstehst du? Fort! Denk an den bösen Mann in der Nacht. Er kommt wieder, wenn du nicht gehst!«
    Der Wortsammler sprang so abrupt auf, dass die Katze mit einem Kreischen von seinem Schoß huschte und unter dem Tisch verschwand. »Moorwiege, Mondlichtlampe, Loegen-pack, Gotteszorntreffer«, stieß er hervor. Er suchte seinen Überwurf, warf einen Blick auf Garbrand, der nichts mitbekommen hatte und mit offenem Mund schnarchte.
    Der Knabe sah Anneke gar nicht mehr an, als er an ihr vorbeistürmte. Anneke war erstaunt. Er hatte ihr jedes Wort geglaubt.

Amsterdam 1531
    Ein Jahr ist das Kind nun schon im Findelhaus. Es spricht nicht, denkt aber viel. Mehr als die anderen Kinder. Es hat Zeit dazu. Weil keiner mit ihm redet, es ist den anderen unheimlich. Die spielen, lachen, weinen. Schlagen sich, haben Hunger. Das Kind nicht. Es sitzt in der Ecke, beobachtet die Menschen, hält Ausschau nach bösen Jungen, nach bösen Männern.
    Die Frau mit den kalten Augen hat ein noch viel kälteres Herz. Als sie gemerkt hat, dass das Kind nicht reden will, beachtet sie es einfach nicht mehr. Das Kind tut, was sie von ihr verlangt, putzt, fegt und reinigt auch die Latrine, denn das will kein anderer tun. Ihm ist jeder Ekel fremd. Dieses Gefühl gibt es seit dem Erlebnis mit den Jungen nicht mehr. Nicht einmal, als Mutter in ihrem Rot dalag, hat es etwas Derartiges empfunden.
    Nachts träumt es vom Meerkristall und sucht ihn. Immer wieder schieben sich die Augen des Mannes im Flur in seine Träume. Am Finger hält er das Medaillon. Es baumelt hin und her, aber wenn es danach greifen will, lacht er, wie er im Treppenhaus gelacht hat, und verschwindet.
    Das Kind ist nur froh, dass es nicht mehr auf die Straße muss, im Findelhaus bleiben darf. Hier fühlt es sich sicher. Sicher vor den Jungen, sicher vor dem Messer, das die Mutter zerteilt hat.
    Das Medaillon mit der Kristallträne ist weg und kann nicht mehr schützen, wobei es den Schutz schon vorher verloren haben muss. Vielleicht, weil Mutter Dinge getan hat, die dem Herrgott nicht gefallen haben. Mutter hat die Männer nicht nur gestreichelt, darüber hat das Kind schon viel nachgedacht. Die Jungen haben genauso geklungen, als sie ihm wehgetan haben. Hinterher hat Mutter nicht nur geweint, sondern sich auch übergeben. »Manche Männer riechen nicht gut, weißt du?«, hat sie gesagt, als das Kind sie trösten wollte.
    Es hat ihr das Stück Seife geschenkt, damit sie sich hinterher waschen kann. Die Seife, die dem Kind der kostbarste Besitz war. Erst hat sie ihm ins Gesicht geschlagen, sie aber dann doch angenommen. Das Kind hat die Seife aber nicht mitnehmen dürfen. Die Frau mit den kalten Augen riecht nun danach.
    »Wisch den Boden im Speiseraum!«, hört es deren Stimme. Die kann es überall heraushören, weil sie scharf ist wie ein Messer und die Luft zerteilt.
    Die anderen haben viel Dreck gemacht. Es ist ihnen egal, weil sie wissen, dass es alles reinigt. Manchmal pinkeln sie extra auf den Gang, damit es den Urin wegwischen muss. Die Hände sind wund, weil das Wasser sie rissig macht, es aber keine Salbe, nicht einmal Talg bekommt, damit sie nicht schmerzen. Es kniet, tunkt den stinkigen Lappen in das dunkle Wasser, fährt damit über den Steinboden.
    »Wer bist du?« Eine warme Stimme ergießt sich über das Haupt des Kindes, es ist die erste Wärme, die es seit dem Tod der Mutter verspürt.
    Es schüttelt den Kopf.
    »Bist du ein Junge oder ein Mädchen?«
    Bei der Frage zuckt das Kind zurück, lässt den Putzlappen fallen und stürzt davon.

10. Kapitel
    Krechting stieg, zusammen mit Dr. Westerburg und dessen Tochter Bente, die von ihrer Zofe begleitet wurde, in Emden von der Kraweel und sog die Luft ein, die nicht so stickig war wie in der Neustadt, weil vom Dollart her eine frische Brise wehte. Die Reise mit den neuen Schiffen, die nun das

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