Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
wollte ich nie bleiben, vor allem nicht, nachdem ihr mich ebenfalls der Hexerei angeklagt habt. Nun ist es an der Zeit, weiterzuziehen.«
»Und die Weiber? Und die tote Lina? Und die vielen kranken Kinder? Und – Jan?« Anneke schien auf der einen Seite fassungslos, auf der anderen klang in jedem neuen Satz eine Hoffnung mit, die Hiske nicht verborgen blieb.
»Ich helfe dir, dass nicht herauskommt, warum Lina sterben musste. Du bekommst keine Schwierigkeiten. Das ist es ja, was dir neben Jan am meisten am Herzen liegt.« Zu dem Arzt selbst äußerte Hiske sich nicht. Sie wollte nicht, dass Anneke merkte, wie sehr sie unter seiner Zurückweisung litt. Es war alles schlimm genug.
»Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit«, sagte die Marketenderin. Doch es klang zu erleichtert, als dass Hiske ihr die Betroffenheit abnahm. Die Hebamme erhob sich, schnürte das Bündel fest zusammen und ging in den Flur. »Sieh zu, dass Lina ein anständiges Begräbnis bekommt und nicht mit Kalk überstreut in der Grube landet. Und Grieta sollte, genau wie du, nicht mehr als Duuvke arbeiten. Das wird letztendlich euer Verderben sein.« Hiske hielt kurz inne, hatte die Hand schon am Türgriff. »Ich habe mich das oft gefragt …«
»Was hast du dich oft gefragt?«
»Ich habe mich oft gefragt, warum eine Frau wie du zur Duuvke wird.«
Anneke lachte auf. »Wie wohl? Schicksal, eine bittere Verletzung und die Notwendigkeit zu überleben. Ganz einfach.«
Hiske hatte verstanden und stieß die Tür auf, sodass die kühle Abendluft sie umflutete wie eine Welle, die dankbar ihren Weg gefunden hatte. »Dann erst einmal Lebewohl. Ich werde dem Totengräber sagen, dass Lina am Fieber gestorben ist. Verbrenn du alle blutigen Lappen und kümmere dich um Grieta. Sie sollte ihr loses Mundwerk halten.«
Anneke hatte sich nach Hiskes Worten merklich entspannt, wenngleich sie den Abgang der Hebamme kaum erwarten konnte. Hiske blieb dennoch in der geöffneten Tür stehen und wandte sich noch einmal um. »Ich muss es doch wissen. Lina hat etwas Merkwürdiges vor ihrem Tod gesagt, woher hat sie solche Gedanken?«
»Was hat das dumme Ding denn erzählt?« Anneke klang nun sehr unwirsch.
»Sie hat von einem Satanskind gesprochen und dass der Teufel persönlich hier im Haus war. Wen meinte sie, Anneke?«
Die Marketenderin zog Hiske zurück in den Flur und schloss die Tür. »Grieta erzählt so etwas.«
»Warum?«
»Wir sind hier unter Täufern und Reformierten«, flüsterte Anneke. »Und das dumme Ding redet ständig vom Satan und der Hölle. Sie hatte Lina auch schon ganz wild gemacht. Sonst hätte sie sich bestimmt niemals diesen Holzpfahl in den Unterleib gerammt.«
»Du weißt davon?«
Anneke nickte. »Was soll ich mit Grieta tun? Wenn sie mit dem Papistengerede nicht aufhört, jagen sie uns noch davon.«
Hiske zuckte mit den Schultern. »Ich gehöre euch nicht an, Anneke. Ich weiß es nicht.«
»Du weißt so vieles nicht, Hebamme.«
»Was meinst du?«
»Ich kann dir etwas erzählen, aber ich glaube kaum, dass du es hören willst. Warte kurz!«
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe!« Hiske wollte nun nichts mehr von Anneke hören, schon gar nicht, falls sie ihr etwas über Jan erzählen wollte. Die Hebamme warf ihr geschnürtes Bündel über die Schulter. Es war ohnehin besser, rasch nach Hause zu gehen, bevor die Dunkelheit das Land verschlang. Im Augenblick legte sie die weite Strecke zu ihrer Kate nur ungern im Dunkeln zurück.
»Nein, warte!« Anneke verschwand, Hiske hörte, dass sie mit Grieta sprach und sie zum Bader schickte. Was auch immer das Ding dort sollte. Vermutlich war der Marketenderin die Seife ausgegangen, und sie konnte Lina nicht waschen.
Hiske wartete darauf, dass Anneke zurückkam. Die lotste sie in die Küche, und als Hiske nach zwei Stunden endlich Annekes Haus verließ, war sie sehr aufgewühlt, denn was sie erfahren hatte, hätte sie besser nicht wissen sollen. Es war eine gute Lösung, wenn sie den Flecken baldmöglichst verließ, denn ferner konnte man dem Schöpfer nicht sein, wenn man das berücksichtigte, was sie zwar gehört, aber noch nicht vollkommen verstanden hatte.
Und wenn der Teufel oder Satan bereits die Gedanken der Menschen vergiftete, würden auch in der Herrlichkeit Frauen auf dem Scheiterhaufen landen. Hiske wollte nur noch weg. Sie war froh, als sie die Lichter der Neustadt im Rücken hatte und in der Dunkelheit verschwinden konnte. Kaum aber traten ihre Füße auf
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