Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
zusammentat. Krechting wollte es einfach nicht mehr dulden, von Menschen wie Hebrich von Knyphausen gelenkt und in seinem Denken und Glauben eingeschränkt zu werden. Dennoch hakte er zur Sicherheit noch einmal nach. »Was genau macht diese Bruderschaft?« Er spuckte das letzte Wort förmlich aus.
»Sie gibt es schon seit 1495, wir nennen sie auch Schiffergilde. Sie betreut die Witwen und Waisen, deren Männer auf See geblieben sind, und das sind weiß Gott genug. Und alte Schiffersfrauen haben wir ja auch. Gegenüber der Großen Kirche befinden sich die Godeskammern, da können diese Weiber wohnen. Darum kümmert sich die Bruderschaft ebenfalls.«
»Und um Nahrungsmittel?«
»Ja, die verteilen sie auch, diese
Botter-Schötel
. Eben Butter, Brot und Grütze, hin und wieder Torf als Brennmaterial.«
Krechting nickte. Das klang greifbar, und so etwas in der Richtung musste er in der Herrlichkeit auch einführen, wobei bei ihnen die Schifferswitwen keine so große Rolle wie in Emden spielten. »Für Euch bleiben dann die Glaubensflüchtlinge und anderen Armen übrig, die keinen Platz in der Stadt haben.«
»So ist es, Krechting.«
Die Tür öffnete sich, und die Dienstmagd schleppte große Teller herein, auf denen sich erlesene Speisen türmten. Johannes a Lasco war nicht kleinlich, wenn er auf der Burg im Namen Gräfin Annas Gäste empfing.
Der Superintendent wartete, bis sich die Magd auf leisen Sohlen entfernt hatte, dann lächelte er Krechting an. »Aber nun langt zu, wir haben ja genug.«
Krechting knurrte der Magen, er hatte in der Früh nur sehr wenig zu sich genommen, und das merkte er, wo nun die Speisen so verlockend vor ihm standen. Die Teller quollen über mit Hühnerbeinen, Lammkoteletts und Früchten, die Hinrich teilweise fremd waren. Alles schmeckte jedoch köstlich. So aßen sie eine Weile, sprachen nicht, weil jeder seinen Gedanken nachhing.
»Ich überlege, ganz nach Emden überzusiedeln. Hier bieten sich mir mehr Möglichkeiten«, hob Krechting schließlich an.
Johannes a Lasco aber schüttelte vehement den Kopf. »Oh nein, Krechting! Ihr seid die rechte Hand der Häuptlingswitwe. Was sollte sie ohne Euch tun, wo schon von Ascheburg nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ihr bleibt dort. In Emden gibt es keine Zukunft für Euch. Doch in der Neustadt werdet Ihr gebraucht, und wenn Ihr Hilfe benötigt, dann wendet Euch an mich.« Er hieb seine Zähne tief in eine der Hähnchenkeulen und wischte sich das heraustropfende Fett mit einer Serviette ab. Johannes a Lasco fixierte Hinrich einen Moment. Dann sagte er sehr langsam: »Ich weiß im Übrigen sehr wohl, dass Ihr gegen Eure Gesinnung lebt, und ich habe großen Respekt vor dieser Entscheidung. Das würden nur sehr wenige wagen. Ihr habt das alles getan, damit der Frieden in der Herrlichkeit gewahrt bleibt, und dafür schätze nicht nur ich Euch, sondern auch Hebrich von Knyphausen. Sogar Gräfin Anna ist Euer Name nicht fremd. Sie zollt Euch großen Respekt. Verspielt diese Gunst nicht, weil Ihr das alles leichtfertig wegwerft, Krechting.«
Hinrich presste die Lippen aufeinander. Johannes a Lasco wusste also doch, wie es um ihn und seinen Glauben bestellt war. Und man wollte ihn in Emden nicht. Er sollte in der Einöde am Schwarzen Brack versauern.
»Ich habe gehört, Hebrich plant ein Gödenser Haus in Emden. Dort könnt Ihr zwischendurch in unserer schönen Seehafenstadt weilen, wenn Euch der Sinn danach steht. Wirken aber müsst Ihr in dem neuen Flecken, der eine Bedeutung haben wird, die weit über die Grenzen Ostfrieslands hinausgeht. Darin sehe ich Eure Aufgabe.«
»Würde ich nach Emden kommen, wertet Ihr das also als Aufgeben?« Krechting war fassungslos. Johannes a Lasco bezeichnete ihn indirekt als Feigling, wenn er sich nicht weiter verbog und das tat, was Hebrich sich für sein weiteres Leben ausdachte.
»So könnte man es nennen.« Der Superintendent lächelte Krechting breit an. In Wahrheit aber schlug er ihm mitten ins Gesicht.
Hiske saß bei Anneke in der Küche. Lina hatten sie mit einem Laken abgedeckt. Sie mussten sie bald fortbringen, denn im Sommer war es nicht gut, Tote lange im Haus zu lassen. Hiske wollte dem Totengräber gleich Bescheid geben, wenn sie sich auf den Rückweg machte. »Ich werde die Herrlichkeit auch bald verlassen, Anneke. Ich warte nur, bis der Wortsammler zurück ist.«
Die Marketenderin sah sie erstaunt an. »Warum?«
»Ich habe meine Gründe. Meine Aufgaben hier sind erfüllt. Eigentlich
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