HISTORICAL Band 0264
verbringen. Wir wollen versuchen, den Halunken zu fangen, der uns alle ausplündert“, erklärte Lord Haverbrook und versuchte, seine verdrossene Gemahlin zu beschwichtigen.
„Ich hasse den Unbekannten!“, fuhr Lady Estella schmollend fort. „Wenn es ihn nicht gäbe, wären wir jetzt in London und könnten Weihnachten in dem glanzvollen Rahmen feiern, den wir gewohnt sind!“
Miss Duncan enthielt sich einer scharfen Antwort. Wenn Lady Haverbrook in London ein noch kostbarer eingerichtetes Haus besaß als dieses, dann konnte sie sich wohl den Schaden leisten, den der weihnachtliche Wohltäter ihnen zufügen mochte. Außerdem war er ein Volksheld und keineswegs nur ein gewöhnlicher Verbrecher, der seine Beute mit den Armen von Glenmuir teilte. Natürlich wusste Blair, dass sie diese Gedanken nicht aussprechen durfte, da sie hoffte, dass der ein oder andere Engländer einige der Einheimischen in Dienst nehmen würde.
„Ach Liebste“, sagte Lord Haverbrook grimmig, „vielleicht hilft die auf den Kopf des Räubers ausgesetzte Belohnung, ihn zu verhaften. Doch genug von diesem Dieb! Wir wollen uns die Weihnachtsfreude nicht durch ihn verderben lassen, nicht wahr, Cameron?“
Blair Duncan erblasste bei der Nennung des Namens.
„Ganz und gar nicht“, antwortete der Earl of Lindsay ruhig. „Guten Abend, Miss Duncan. Welch angenehme Überraschung, Ihnen hier zu begegnen. Hätte ich das geahnt, wäre ich viel früher aus dem Spielsalon gekommen.“
„Warum hätten Sie auf Ihr Vergnügen verzichten sollen?“, fragte Miss Duncan sanft, doch ihr Tonfall verbarg keineswegs die beabsichtigte Kränkung.
„Ach, ein Spiel ist wie das andere“, gab Lord Lindsay leise zurück und bemerkte Lord Haverbrooks amüsiertes Lächeln. „Im Augenblick freilich bin ich dem Verhungern nahe. Wir gehen doch bald zu Tisch, Harry, oder? Wie spät ist es eigentlich?“
Lord Haverbrook griff nach der Taschenuhr, ehe ihm einfiel, dass sie sich nicht an ihrem Platz befand. „Da musst du einen anderen fragen“, sagte er mürrisch. „Meine Uhr ist letzte Nacht verschwunden.“
„Hast du sie verlegt?“, stichelte Lord Lindsay und genoss das Gefühl, sich an ihm gerächt zu haben. Harry hatte nicht nur eine Belohnung für die Ergreifung des Diebes ausgesetzt, sondern auch noch Blair Duncan eingeladen, als sei es ein Leichtes, sie zu erobern.
„Nein“, murmelte Lord Haverbrook mürrisch. „Allem Anschein nach ist mir die Uhr gestohlen worden.“
„Gestohlen? Der Räuber hatte doch nicht etwa die Frechheit, in dein Schlafzimmer einzudringen?“, fragte Cameron, Earl of Lindsay, und brachte es fertig, eine verdutzte Miene zu machen, obwohl er sich in Wirklichkeit über Harrys Wut freute. Es geschah Harry recht! Er hatte sich überall gerühmt, er habe das Schmuckstück mit dem Geld bezahlt, das er durch die Vertreibung von zwei Pächterfamilien eingespart hatte. Selbst wenn er den materiellen Wert leicht verschmerzte, wog die ihm erteilte Lektion viel schwerer. „Wie unangenehm!“, fügte Lord Lindsay scheinheilig hinzu, nachdem der Freund bedrückt genickt hatte. „Nein, der Kerl muss endlich dingfest gemacht werden. Meine Dienstboten beklagen sich auch, dass Schinken und Würste aus unserer Räucherkammer fehlen. Der Bursche ist wirklich unverschämt!“
„Wie wahr!“, bekräftigte Miss Duncan leise, dass nur Lord Lindsay es hören konnte. „Aber Sie sollten sich schämen! Hätte ich gewusst, dass Sie hier sind, wäre ich nicht gekommen!“
„Oh, Miss Duncan“, flüsterte er ihr zu und schob, ohne sie um Erlaubnis zu fragen, den Arm unter ihren, um sie in den Speisesaal zu geleiten. „Ihr feuriges Temperament muss das Blut eines jeden Mannes in Wallung bringen, und sei es vor Zorn, wenn nicht aus Leidenschaft! Es tut mir leid, wenn ich Sie enttäuscht habe, aber es geht mir besser. So schnell wird die Totenglocke nicht für mich läuten.“
„Darauf möchte ich lieber nicht schwören, Mylord“, zischte Blair Duncan. „Wenn Sie nicht endlich die unverschämten Bemerkungen unterlassen, bringe ich Sie eigenhändig um!“
Die einzige Antwort, die ihr diese Drohung einbrachte, war allerdings, dass er im Vorübergehen in eine Silberschale griff, Miss Duncan ein Stück Konfekt in den Mund steckte, den Kopf in den Nacken warf und so herzlich lachte wie schon lange nicht mehr.
Sie schluckte hastig und sagte dann spitz: „Sie haben alle Eigenschaften, die ich an einem Mann verabscheue!“
„Dann verhehlen Sie Ihre
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