HISTORICAL Band 0264
Uhr in Lindsay Hall vergessen hatte. Das war einleuchtender als der Gedanke, Lord Lindsay könne so viel Herz für die Armen in Glenmuir haben, dass er seine Landsleute bestahl.
Aber er hatte behauptet, er habe versucht, die von seinem Vater verlorenen Ländereien zurückzukaufen. Vielleicht stimmte das sogar. Möglicherweise war auch wahr, dass ihn die Briefe erst am vergangenen Tag erreicht hatten, mehr als zehn Jahre nachdem sie geschrieben worden waren. Tatsächlich hatte er seit dem ersten Besuch in Glenmuir immer wieder versucht, mit Blair in Verbindung zu treten, und nicht begreifen können, warum sie ablehnte, ihn zu empfangen. Sicher hatte er nicht geahnt, wie sehr sie ihn brauchte. Und nun noch diese dreißig Goldstücke! Welch großzügiges Geschenk aus der Hand eines Mannes, dem die Highlands nichts bedeuteten!
Konnte Blair ihm genug Vertrauen entgegenbringen und glauben, er würde den guten Ruf, in diesem Jahr vielleicht sogar das Leben, aufs Spiel setzen für Menschen, die mit ihm nichts zu tun haben wollten? Ihr schwirrte der Kopf von Fragen, auf die es keine Antwort gab. Das Herz drängte zur Verzeihung, der Verstand verweigerte sie. Nun, fürs Erste musste eine Entscheidung warten. Morgen war der Heilige Abend, und Blair wollte noch das Geld in die Körbe legen. Sie wog die funkelnden Münzen in der Hand, und eine vage Hoffnung stieg in ihr auf, dass sie Cameron vielleicht doch falsch eingeschätzt hatte.
7. KAPITEL
Überschwänglich bedankte sich Ian Ferguson für den übervollen Weihnachtskorb, den Miss Duncan auf der Schwelle seines ärmlichen Hauses abgestellt hatte. Die Stimme des Bauern hallte in der frostigen Luft des Abends wider. „Sie sind eine richtige Wohltäterin, Miss“, sagte er begeistert und ließ den Blick über die Köstlichkeiten wandern. Die Orangenmarmelade würde den Weihnachtsmorgen im wahrsten Sinne des Wortes versüßen. Äpfel, Nüsse und eine Wurst machten aus diesen Tagen wirklich ein Fest.
Blair Duncan ließ sich von Robbie in die Kutsche helfen, die auch schon bessere Tage gesehen hatte, lächelte Ian Ferguson freundlich zu und gab Robbie das Zeichen zum Abfahren. Dann stieß sie einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Endlich war die letzte Gabe ausgeteilt. Sie konnte zufrieden sein. All die Arbeit, der Zeitaufwand, die Jagd nach Geschenken hatten sich zuletzt doch noch gelohnt, wenn sie an die herzliche Freude dachte, die sie den Pächtern und den Bedürftigen der Umgebung gemacht hatte. Nun war es an der Zeit, an die eigenen Vorbereitungen für das Fest zu denken.
Langsam und schaukelnd rollte das Gefährt dahin. Blair lehnte sich in die Lederkissen zurück und stellte sich vor, wie es morgen in der großen Küche hergehen würde, wenn Mrs. Brown und sie eifrig dabei waren, letzte Hand an den Weihnachtsschmuck und das Festessen zu legen, das am nächsten Tag aufgetragen wurde. Die Zeit zwischen Weihnachten und der Jahreswende war für sie immer die schönste. In den letzten Jahren freilich empfand sie noch mehr dabei. In dieser einen Woche konnte sie alle Sorgen vergessen und sich der beglückenden Erinnerung an längst vergangene Christfeste überlassen. Damals lebte eine fröhliche Familie auf Duncan House; die Freunde wohnten noch in Glenmuir, und Geld gab es genug. In stillen Stunden schloss Blair die Augen und hörte das Lachen des Vaters, sah das herzliche Lächeln der Mutter und roch die köstlichen Düfte von Speisen und Süßigkeiten, die damals zu Weihnachten gehörten. Sich der vertrauten Bilder innig zu erfreuen war für sie das einzige Geschenk, das sie sich leisten konnte, und bedeutete ihr mehr als neue Kleider oder kostspielige Juwelen.
Bekümmert stellte sie fest, dass es diesmal anders sein würde. Die freundlichen Gedanken an die Vergangenheit stellten sich nicht wie früher ein. Die Gegenwart verdrängte jede Rückbesinnung. Die Erinnerung an Cameron beschäftigte sie immer dann, wenn sie am wenigsten darauf gefasst war, und machte es ihr unmöglich, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Seine Anwesenheit verursachte zu viele die Gegenwart betreffende Fragen und Verheißungen für die Zukunft. Wenn sie an die Küsse dachte, die sie erst vor Kurzem mit ihm getauscht hatte, und an den Vorfall in seinem Schlafzimmer, waren die Grübeleien nicht einmal sehr unangenehm. Cameron, Earl of Lindsay, sah unwiderstehlich gut aus und war sehr charmant. Angezogen hatte er bereits etwas Bestechendes, halb nackt freilich war er überaus
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