HISTORICAL Band 0264
Unbekannte wieder einmal in Glenmuir gewesen war. Mit einem feinen Lächeln nahm Blair ihren Platz ein und genoss das köstliche Gefühl, vielleicht die Wahrheit über den geheimnisvollen Wohltäter zu kennen. Wahrscheinlich würde niemals auch nur einer der Dorfbewohner erfahren, wer er in Wirklichkeit war. Eigentlich sollten sie ihm ja dankbar sein. Das Versteckspiel bewies immerhin, dass er Glenmuir und die armen Schotten der Umgebung mochte, auch wenn er Blair nicht sonderlich liebte. Wenn sie daran dachte, wie großzügig er sich in dieser Rolle erwies, so machte das seine Erklärung über die Aufteilung des Connerybesitzes sogar glaubhafter. Es tilgte außerdem manchen Zweifel, den sie an ihrem Jugendfreund hatte. Welches Leben er in London auch führen mochte, in Glenmuir jedenfalls konnte man ihm nichts vorwerfen.
Freilich mussten weitere Beweise für sein heimliches Doppelspiel erst einmal warten. Abgesehen vom Kirchgang versprach der Abend für Blair nicht sehr viel Ruhe. Noch warteten Pflichten darauf, erfüllt zu werden. So konnte sie nicht im Hause sein, um wie sonst mit Mrs. Brown auf das Kommen der MacNabs zu warten. Nach alter Hochland-Tradition würden Mrs. MacNabs zahlreiche Sprösslinge lachend die ältliche Haushälterin als ihre Weihnachtsfee zu sich nach Haus entführen, ihr den Ehrenplatz am Feuer geben und sich darauf freuen, dass sie die Familienrunde mit Geschichten aus längst vergangenen Tagen unterhielt. Es war eine fröhliche Sitte, doch Blair hatte Pläne für den Abend, die sie zwangen, auf das Vergnügen zu verzichten.
Sie strich sich über die unter dem Hut hervorquellenden rötlichbraunen Locken und bedauerte beinahe, Lord Haverbrooks Einladung zu einem Glas Weihnachtspunsch nach dem Gottesdienst angenommen zu haben. Aber sie hätte nicht gut ablehnen können. Der Earl of Haverbrook hatte ihr offen gesagt, dass die Fairfaxes am Tage nach Weihnachten nach London reisen würden. Da sie bereit schienen, einen Einheimischen als Aufseher des Jagdreviers einzustellen, wollten sie von Miss Duncan die Zusicherung, dass man sich auf den Mann verlassen könne. Die Gelegenheit, eine solche Anstellung für den alten Mr. MacNab zu sichern, war Grund genug, bei Lord Haverbrook zu erscheinen. Außerdem würde der Besuch Blair von den Gedanken an Lord Lindsay ablenken und von der damit verbundenen Verwirrung.
Jähe Unruhe in der Kirche riss Blair aus den Überlegungen. Sie hob den Kopf, weil sie glaubte, Pater MacKenzie wäre aus der Sakristei getreten. Aber es war Cameron, Earl of Lindsay, der sich in die Bank drängte, auf der Blair saß. Das konnte ja eine schöne Stunde der Einkehr und Erbauung werden, dachte sie verzagt. In seiner Nähe musste sie gegen Empfindungen ankämpfen, die an diesem Ort geradezu gotteslästerlich waren. Doch Camerons Gegenwart und sein herzliches Lächeln waren schließlich nicht so quälend, wie sie befürchtet hatte. Ganz im Gegenteil! Seine Nähe erschien ihr wie selbstverständlich und vermittelte ihr sogar ein Gefühl des Friedens.
Nach dem Ende des Gottesdienstes standen die Dorfleute umher und schauten zu, wie der Earl Miss Duncan aus der Kirche geleitete. Er hatte es auf sich genommen, sich dem allgemeinen Unwillen auszusetzen, um wenigstens einige Zeit an Blairs Seite verbringen zu können. Umso mehr erstaunte es ihn, dass ihm keineswegs Missbilligung entgegenschlug, eher stummes Einverständnis. Die Menschen schienen zu spüren, dass jemand, der am Heiligen Abend dem Gottesdienst beiwohnte, nicht ganz schlecht sein konnte, selbst wenn er Engländer war. Tatsächlich zeigten manche Dorfbewohner sogar Freundlichkeit, und Mrs. MacNabs Blick sah er an, dass sie überlegte, welch hübsche Kinder er Miss Duncan schenken könne. Die für gewöhnlich griesgrämigen Fergusons machten ein beinahe strahlendes Gesicht. Cameron hätte schwören mögen, dass der alte Ian ihm zunickte. Ob Blair etwas über das Geldgeschenk hatte verlauten lassen, das er beigesteuert hatte?
Er fühlte sich ausgesprochen ungemütlich bei dem Waffenstillstand, in den die Bewohner von Glenmuir offensichtlich eingewilligt hatten. War das nur eine neue Taktik, ihn so zu verunsichern, dass er von nun an dem Dorf und Blair Duncan aus dem Wege ging? Er schüttelte die Zweifel ab und sah Miss Duncan an. Das scheue, zaghafte Lächeln, das sie ihm schenkte, ließ ihn die Leute auf der Stelle vergessen. Sein Herz pochte heftig, und er hoffte, dass sie zutraulicher wurde. Immerhin hatte sie seinen
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