HISTORICAL Band 0264
sechzehn, als Jack mit Merle auf und davon ging“, sagte sie schließlich nachdenklich. „Es stimmt, er hat sie verzweifelt geliebt.“ Sie fing Sallys Blick auf und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Sally, aber du hast es selbst gesagt. Damals konnte ich Jacks Gefühle noch nicht nachvollziehen, aber nun, da ich älter bin, verstehe ich, dass es eine irrsinnige, leidenschaftliche Art von Liebe gewesen sein muss. Er hat Merle auf ein Podest gestellt und wollte sie von ihrem grausamen Ehemann fortbringen. Aber es war auch eine sehr junge, naive Liebe. Ich weiß nicht, ob sie gehalten hätte, wenn Merle am Leben geblieben wäre.“ Sie zögerte. „Ich glaube aber, dass Jack dich nicht weniger liebt, nur auf eine andere Weise.“
Die Tür flog auf, und Connie stürzte, ohne anzuklopfen, ins Zimmer. Hinter ihr entdeckte Sally Lady Ottoline mit unheilverkündender Miene und einen etwas bekümmert wirkenden Bertie.
„Also wirklich, Liebes …“, fing er an, doch Connie beachtete ihn gar nicht. Eingehüllt in eine Parfümwolke, schwebte sie auf ihre Schwester zu.
„Sally, Liebste!“, rief sie theatralisch. „Wir sind eben erst zurückgekommen und haben gehört, was passiert ist. Wie schrecklich! Gut, dass ich nicht hier war – ich habe schreckliche Angst vor Wasser und hätte in all der Aufregung sicher mein neues blaues Seidenkleid ruiniert!“ Sie wandte sich an Charley. „Ich hoffe, das Kind hat sich nicht verletzt?“
Charley war ausnahmsweise völlig sprachlos, und so blieb es Lady Ottoline überlassen, hoheitsvoll herbeizueilen und sich mit dem Eindringling zu befassen. „Es wäre nett, Mrs. Bassett“, sagte sie eisig, „wenn Sie sich den Namen von Charlottes und Stephens Tochter merken würden und Ihnen noch dazu ihr Wohlbefinden aufrichtig am Herzen läge.“
„Ich bitte um Verzeihung!“, stammelte Connie. „Ich wollte mich nach dem Zustand meiner Schwester erkundigen …“
„Als ob Ihnen daran etwas gelegen wäre!“, brauste Lady Ottoline auf. Sie sah von Connie zu Bertie, der ganz zurück bis an die Samttapete gewichen war. „Bedauerlicherweise bedarf es keiner großen Intelligenz, sich auszurechnen, warum mein Neffe beschlossen hat, Sie zu heiraten, Mrs. Basset. Es ist ganz offensichtlich, dass es nicht an Ihrem Konversationstalent gelegen haben kann. Wenn er bis an sein Lebensende mit einem gehässigen, hohlköpfigen Püppchen zusammen sein möchte, dann ist das seine Entscheidung. Ich möchte es jedoch nicht, daher werden Sie nun unverzüglich dieses Haus verlassen und dafür sorgen, dass Sie mir künftig nie wieder unter die Augen kommen. Das wäre alles.“ Damit zog sie sich würdevoll zurück.
„Also, das ist doch …“, stotterte Connie, und auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecken ab. „Was glaubt sie eigentlich, wer sie ist?“
„Auf jeden Fall war sie die Person, die mir ihr Vermögen vererben wollte“, stellte Bertie finster fest. Er nahm Connies Arm. „Komm, Liebes, es ist Zeit für einen raschen Abgang. Was hältst du von einer weiteren Nacht im Randolph?“
9. KAPITEL
Es regnete, als Sally nach London zurückkehrte, dicke, große Sommerregentropfen, die auf das trockene Kopfsteinpflaster prasselten und die Luft nach Staub riechen ließen. Jack hatte sie zurückfahren wollen, doch Sally hatte darauf bestanden, mit der Eisenbahn zu fahren; sie brauchte Zeit für sich zum Nachdenken. Sie hatte Jack gesagt, sie würde ihm an diesem Abend ihre Antwort mitteilen, nach der Wiedereröffnung des Purpursalons im Blue Parrot. Das bedeutete, dass ihre turbulente Beziehung genau eine Woche alt war. Ein gefährlich kurzer Zeitraum für eine Entscheidung, die sich so grundlegend auf den Rest ihres Lebens auswirken würde. Doch selbst wenn sie Jack zurückwies, würde sie nicht mehr dieselbe sein – Jack war in ihr Leben getreten und hatte alles verändert.
Im Club war noch alles beruhigend still. Dan unterrichtete sie über das, was während ihrer Abwesenheit geschehen war, und versicherte ihr, dass der Wiedereröffnung nichts mehr im Wege stand. Dann arbeitete Sally sich durch die Korrespondenz auf ihrem Schreibtisch, wobei sie die ganze Zeit die Uhr im Auge behielt, damit sie noch genügend Zeit zum Umziehen hatte. Nun war es beinah fünf Uhr, und Sally wollte gerade nach oben in ihr Zimmer gehen, da klopfte es an der Tür, und Greg Holt betrat ihr Büro.
„Kann ich dich sprechen, Sally?“, fragte er.
Sie lächelte. „Selbstverständlich! Es ist schön,
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