HISTORICAL Band 0272
wenn sie dich nicht liebte?“
„Sie liebt mich?“ Jack musste feststellen, dass seine Knie sich seltsam weich anfühlten. Die einzige Sitzgelegenheit war die schmale Chaiselonge, also nahm er neben seiner Schwester Platz und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Herrgott, dieses blöde Ding.“ Er riss sich die Maske herunter und schleuderte sie zu Boden. Bel sah ihn nur stumm an.
Eva liebte ihn? Er liebte sie, also war der Gedanke einer Heirat nicht abwegig. Allerdings hatte er nie gewagt, darüber nachzudenken. Sie hatte sich nach seinen Zärtlichkeiten gesehnt, nach seiner Gesellschaft, seiner Freundschaft – war das nicht alles gewesen, was sie sich wünschte? Ihr Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf, als sie sich an dieser Tür mit der Klinke in der Hand noch einmal umgedreht hatte. Dann hatte sie etwas gesagt, jedenfalls hatte sie die Lippen bewegt, aber im Lärm des Stimmengewirrs und der Musik waren ihre Worte untergegangen.
In seiner Spionagetätigkeit hatte er gelernt, von Lippen abzulesen, etwas, das große Achtsamkeit erforderte. Nun schloss er die Augen, konzentrierte sich auf ihr Gesicht, ihre sich bewegenden Lippen und formulierte stumm ihre Worte. Wie kann ich dich vergessen? Ich liebe dich.
„Wieso hat sie es mir nicht gesagt?“ Vielleicht konnte seine Schwester dieses Rätsel für ihn zu lösen.
„Weil sie scheu ist, weil sie Angst hatte, du könntest sie zurückweisen, weil sie dachte, ihr begriffsstutziger Geliebter würde selbst auf die Idee kommen, ohne mit der Nase darauf gestoßen zu werden“, entgegnete Bel gnadenlos.
„Oh Gott.“
„Und was willst du jetzt tun?“, fragte seine Schwester nach einem endlos langen Schweigen.
Jack saß vorgebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt und starrte auf die zerknitterte schwarze Maske auf dem Fußboden. „Nichts.“
22. KAPITEL
„Wie bitte?! Jack, du liebst sie – und nun weißt du, dass sie dich liebt, und du willst nichts unternehmen?“
„Bel, sie ist eine Großherzogin, um Himmels willen. Und ich bin nur der jüngste Sohn.“
„Eines Dukes“, entgegnete sie. „Du bist der Spross eines der ältesten Adelshäuser im Königreich. Und weißt du, was du noch bist, Sebastian John Ryder Ravenhurst? Du bist ein elender Snob.“
„Ein was?“ Jack fuhr zu ihr herum und starrte sie an.
„Ein Snob“, wiederholte Bel. „Ein verbohrter Snob. Du weigerst dich, deine eigene Position zu rechtfertigen, dafür einzustehen, wer und was du bist, nur weil sie den Titel einer Großherzogin im Namen führt. Einen angeheirateten Titel, keinen Titel von Geburt, wenn ich dich daran erinnern darf. Eines Tages könntest du Duke sein – dein Sohn wird es jedenfalls sein.“
„Bel!“ Damit hatte sie ihn tief getroffen.
„Denkst du etwa, ich weiß nichts über unseren Bruder und seine Neigung? Wenn er glücklich damit ist, fälle ich gewiss kein Urteil über ihn. Und du bist ein englischer Aristokrat. Die Maubourgianer müssten dankbar sein, dich als Stiefvater ihres Großherzogs zu bekommen.“
„Die Maubourgois“, korrigierte er sie zerstreut.
„Meinetwegen. Was wirst du nun tun?“, bohrte Bel weiter, gereizt über seine Zwischenbemerkung.
„Nichts“, wiederholte er. „Nichts.“ Seine Schwester sprang auf, stemmte die Hände in die Hüften und durchbohrte ihn mit Blicken. „Nichts. Weil dein Stolz nicht zulassen will, dass du bei Staatsempfängen einen Schritt hinter deiner Gemahlin stehen musst. Weil du nicht bereit bist, auch nur das geringste Zugeständnis in deinem Leben zu machen. Weil die Leute darüber reden könnten. Ich könnte dich ohrfeigen, Sebastian Ravenhurst, aber das hat eine bessere Frau bereits für mich getan.“
Die Tür fiel krachend hinter Bel zu. Jack blieb sitzen, starrte auf die mit Goldornamenten bemalte Tür und versuchte, sich über seine Gefühle klar zu werden. Sein Kopf schmerzte, seine Wange brannte, sein Herz … Nein, sein Herz schmerzte nicht, das war nicht das richtige Wort für die Qualen, die in ihm tobten. Stöhnend warf er sich der Länge nach in die Polster, denen Evas Duft entströmte.
Stolz. Zugeständnisse. Status. Liebe. All diese Worte kamen ihm wie ein Rätsel vor, das er nicht zu lösen wusste.
„Wie lange darf ich in Maubourg bleiben?“, fragte Freddie, als die Karosse über die London Bridge rollte.
„Bis die Schule wieder anfängt. Deine Studienjahre sind noch lange nicht vorbei, junger Mann. Du weißt, dass es der Wunsch deines Vaters war, dich zu einem
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