HISTORICAL Band 0272
„Nicht, dass ich etwas daran auszusetzen hätte, wie du oder die anderen reden. Das ist schon in Ordnung. Es hört sich sehr melodisch an, irgendwie beschwingt. Aber ich verstehe kein Wort.“
„Englisch ist meine Muttersprache, Susanna. Wenn dich stört, wie ich rede, dann musst du das nur sagen. Ich werde versuchen, mir mehr Mühe zu geben. Was die anderen angeht“, sagte er ohne den Anflug eines schottischen Akzents, „so musst du sie akzeptieren, wie sie sind.“
Susanna verdrehte die Augen. „Ja doch! Du hast mich völlig falsch verstanden, James! Ich meinte nur, dass ich es schade finde, dass ich hier niemanden verstehe. Ich muss anhand der Mimik der Leute erraten, ob von mir ein Lächeln, ein Nicken oder ein böser Blick erwartet wird. Und ich kann kaum eine Frage beantworten!“
„Sie haben dir Fragen gestellt?“, erkundigte er sich interessiert.
Susanna zuckte mit den Schultern. „Ja. Zumindest nehme ich an, dass mir Fragen gestellt wurden. Ich habe immer brav ‚Ja‘ gesagt. Es ist gut möglich, dass ich mich bereit erklärt habe, alle Kühe in der Umgebung zu melken – ich weiß es nicht.“
Er lachte.
„Hilda habe ich heute Nachmittag gut verstanden“, fuhr Susanna nachdenklich fort. „Aber ihre Gestik hat fast mehr gesagt als ihre Worte. Heute Abend ist sie kaum wiederzuerkennen, findest du nicht?“
„Das ist schon merkwürdig. Aber ich glaube, der Respekt, der dir entgegengebracht wird, hat sehr viel damit zu tun, wie du Hilda heute ins Gebet genommen hast.“
Kokett sah sie zu ihm hoch. „Meinst du? Und ich dachte, das liegt an meinen blauen Augen!“
Er lehnte sich vor und zog sie an sich. „Wohl auch an deinen blauen Augen. Trotzdem – ich hätte nicht erwartet, dass es so einfach werden würde. Glückwunsch, meine Liebe. Du hast heute wirklich deinen Mann gestanden. Hattest du denn gar keine Angst vor Hilda?“, flüsterte er ihr ins Ohr.
„Angst? Ich weiß nicht.“ Als sie spürte, dass die anderen sie beobachteten, entzog sie sich ihm.
„Du hast doch nicht etwa Angst vor mir, Susanna?“, neckte er sie.
Sie räusperte sich. „Das nicht. Aber hier ist nicht der richtige Ort für so etwas, Lord Garrow.“
„Jetzt bin ich also wieder Mylord ?“
„James!“, zischte sie. „Bitte benimm dich!“
„Aber alle erwarten von mir, dass ich dich nachher nach oben schleife, aufs Bett werfe und die Ehe vollziehe. Was soll ich tun? Was schlägst du vor?“
Susanna errötete. „Wir müssen ihnen wohl vorspielen, was sie sehen wollen, fürchte ich. Ich verspreche auch, dass ich mich nicht zieren werde, wenn du mich nach oben bringst. Aber wenn alle gegangen sind, dann würde ich lieber … lieber nichts von dem tun, was sie denken, das wir tun werden.“ Plötzlich kam sie sich furchtbar prüde vor.
Lässig zuckte er mit den Schultern. „Wie du willst.“
„Es tut mir leid, James. Ich habe Angst – davor“, gestand sie ihm leise.
„Könntest du deine Angst nicht einfach vergessen, so wie bei Hilda?“
Wider Willen musste sie angesichts seiner bettelnden Miene lächeln. „Wie denn?“
„Ich lass mir etwas einfallen“, sagte er. Und das wirkte mehr wie ein Versprechen als ein Zugeständnis. „Wollen wir tanzen?“, fragte er dann.
Susanna nahm seine Hand. Ohne dass ihr Mann ein Zeichen hätte geben müssen, brach das ausgelassene Geigenspiel abrupt ab. Stattdessen erklang eine Melodie im Dreivierteltakt. Susanna hätte weinen können, so schön klang die einsame Violine, als James sie zu den Klängen eines Strauß-Walzers über den Steinboden der großen Halle wirbelte. Die Flammen im Kamin warfen ein warmes gelbes Licht auf die grauen Steine.
Es ist alles so schrecklich romantisch. Wenn ich nicht aufpasse, dann vergesse ich noch, warum ich diese Ehe eingegangen bin, dachte Susanna.
Wie James vorhergesagt hatte, machte die Menge bei Nachteinbruch einen großen Wirbel darum, das Brautpaar zum Schlafzimmer zu geleiten. Die Wagemutigsten folgten ihnen bis vor die Tür zum Schlafzimmer und unternahmen sogar den obligatorischen Versuch, dem Brautpaar hineinzufolgen.
James wusste, dass es klug gewesen war, Susanna vorab darüber zu informieren, was sie erwartete. Sie hielt ihr Wort und ließ sich anstandslos von ihm nach oben in sein Schlafzimmer führen. Die zotigen Vorschläge seiner Männer ignorierte sie – er hoffte, sie verstand wirklich nichts von dem, was geredet wurde – und lachte noch eine ganze Weile mit ihm zusammen, als sie die Tür hinter sich
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