HISTORICAL Band 0272
Armen schüttelte James die Hand. Susanna fiel als Erstes der starke Körpergeruch des Kapitäns auf. In einem geschlossenen Raum wären die Leute bei diesem Gestank ohnmächtig geworden. „Die Fahrt wird nicht billig“, warnte er. „Zwei Pfund, vier Pence kostet die Überfahrt. Und das Geld möchte ich gleich sehen.“ James wühlte in seinen Taschen nach Münzen und Banknoten und gab sie dem Mann.
„Gut. Nehmen Sie Ihr Mädchen mit hinunter und bleiben Sie dort“, wies Menzies James an. „Sie stehen uns oben sonst nur im Weg.“ Er deutete auf eine Luke in der Mitte des Schiffs.
Eine kleine Treppe führte von dort nach unten zu einer Kabine zwischen den Fischlagerräumen. Der überwältigende Geruch nach Meeresgetier, der hier unten herrschte, übertraf fast noch den des Kapitäns. Susanna keuchte, fischte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und hielt es sich vor die Nase.
„Atme möglichst nicht zu tief ein“, empfahl ihr James. „Und versuch, die Augen offen zu halten.“
Er sprach kurz angebunden und setzte sich dann neben sie auf die schmale Holzbank an der Innenseite der Kabine. Das Schiff rollte jetzt schon bedenklich von Seite zu Seite. Dabei hatten sie den Hafen noch nicht verlassen. „Bist du dir sicher, dass das Schiff seetauglich ist?“, fragte sie besorgt.
„Es schwimmt wie ein Korken“, versicherte James ihr.
Wenig später nahm das Schiff an Fahrt zu, sodass es noch stärker als zuvor schaukelte. Über ihnen schrie der Kapitän der Mannschaft Befehle zu. Sein Gebrüll vermischte sich mit anderen Stimmen, dem Knarren der Planken und dem Quietschen von Seilen.
Kaum war eine Viertelstunde vergangen, erhob sich James und ging nach oben. Er sah mitgenommen aus. Susanna musste ihn nicht fragen, warum. Ganz egal, wie viele Fähigkeiten James sonst hat – ein Seemann ist er nicht, dachte sie mitleidig. Mit der Seekrankheit war nicht zu scherzen, das wusste sie, auch wenn sie selbst auf ihren Reisen zu den Kanalinseln bislang von ihr verschont geblieben war.
James kam nach unten gepoltert und setzte sich in verkrampfter Haltung neben sie. Er sah bleich aus.
„Lebst du noch?“, erkundigte sie sich mitfühlend.
„Das siehst du doch“, knurrte er. „Verdammt! Ich hasse Schiffe!“
„Bist du schon öfter auf See gewesen?“
„Ja. Mit einem Kaufmann aus Dornoch“, stieß er gepresst hervor.
Ungläubig sah Susanna ihn an. „Obwohl du seekrank wirst? Wie das?“
„Ich war Kabinenjunge, mit elf Jahren!“, meinte er knapp.
Susanna zuckte zusammen: „Du bist von Zuhause ausgerissen?“
„Ja.“
Er war Kabinenjunge gewesen? Das hatte er sicher nicht lange ausgehalten. „Wie lange bist du denn zur See gefahren?“, erkundigte sie sich neugierig.
„Ein Jahr“, antwortete er stöhnend.
„So lange? Und die ganze Zeit warst du …?“ Sie sah ihn fragend an und blickte zur Tür.
„Nein.“ Er biss die Zähne zusammen. „Lass mich jetzt bitte in Ruhe.“
Susanna schwieg. Sie versuchte sich vorzustellen, wie James wohl als kleiner Junge gewesen war, aber es gelang ihr nicht recht. Bestimmt hatte er von Piraten und einem aufregenden Leben auf See geträumt wie alle anderen Knaben in diesem Alter. Und dann war er zwölf Monate lang seekrank gewesen! Der arme Kerl! Wie merkwürdig, dass seine Eltern ihn nicht schon früher ausfindig gemacht hatten – sie hatten doch sicher nach ihm gesucht? Nachdenklich musterte sie ihren Mann. Fragen war er momentan nicht zugänglich – er litt sichtlich. Sie legte ihre Hand auf seine starren kalten Finger, die die Bank umklammerten. „Es wird sicher nicht mehr lange dauern, James“, tröstete sie ihn.
Gequält verzog er den Mund. Obwohl er nichts sagte, spürte Susanna, dass er verärgert war, weil er ihr eine Schwäche gezeigt hatte. Und sie spürte noch etwas – zwischen ihnen war eine Nähe entstanden, die sie schwer beschreiben konnte. In jedem Fall fühlte sie sich ihm in diesem Moment stärker verbunden als am Vorabend, als sie das Bett miteinander geteilt hatten.
„Du musst dich nicht schämen“, meinte sie sanft. „Ich glaube, jeder Mensch hat seine Schwächen.“
„Du wirst jedenfalls nichts seekrank!“, gab er einsilbig zurück.
„Das nicht“, sagte sie. „Aber ich werde verrückt, wenn ich in engen dunklen Räumen bin. Als Kind hat mich das Kindermädchen einmal in die Räucherkammer gesperrt. Ich hatte solche Angst“, gestand sie ihm. Susanna blickte sich um. „Die Kabine hier ist nicht so schlimm. Aus den
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