HISTORICAL BAND 295
nicht dort ist.“
„Du wirst ihn töten?“
„Was sollte ich sonst machen?“ Er fasste sie an den Schultern und sah ihr tief in die Augen. „Ich weiß, du warst in der Vergangenheit mit diesem Mann in Freundschaft verbunden, aber du kannst nicht gleichzeitig ihm und mir gegenüber loyal sein, Elgiva.“
„Das weiß ich.“
Das Herz fühlte sich in ihrer Brust schwer wie Blei an, doch er hatte recht. In den Flammen war ein unschuldiger Knabe umgekommen. Hatte Drem einen Befehl von Aylwin ausgeführt? Darüber wollte sie lieber gar nicht nachdenken. Nur widerstrebend folgte sie ihrem Ehemann zu den bereits wartenden Pferden.
Olaf und Ido hatten zwanzig berittene Männer um sich geschart. Wulfrum saß auf und sah zu seiner Frau hinab. Ihre Blicke trafen sich kurz.
„Bis später, Elgiva.“
Dann ließ er sein Pferd kehrtmachen und setzte sich an die Spitze seiner Streitmacht.
Elgiva blickte den Reitern nach, bis sie außer Sichtweite waren, und widmete sich dann wieder ihren Pflichten. Zuerst einmal musste sie der Mutter des ums Leben gekommenen Jungen allen Trost geben, den sie aufbringen konnte. Also machte sie sich auf den Weg ins Dorf. Als sie vor der Hütte der Mutter eintraf, stellte sie fest, dass Pater Willibald sie bereits erwartete. Er nickte ihr dankbar zu, dann traten sie ein. Die Mutter war in Tränen aufgelöst, war doch der Junge ihr einziges noch lebendes Familienmitglied gewesen. Elgiva konnte die Trauer gut verstehen und wusste, mit Worten war sie nicht zu lindern. Stattdessen legte sie einen Arm um die schluchzende Frau und drückte sie an sich. Es dauerte lange, bis ihre Tränen versiegten und sie ein Wort herausbringen konnte.
„Wieso? Wieso, Herrin?“
„Um den Dänen zu schaden.“
„Aber sie haben nicht den Dänen geschadet, sondern meinen Jungen umgebracht.“
„Er wird gerächt werden“, erwiderte Elgiva. „Die Schuldigen werden dafür teuer bezahlen.“
„Das macht ihn auch nicht wieder lebendig.“
„Nein, aber es wird sie daran hindern, so etwas noch einmal zu tun.“
Elgiva sah zu Pater Willibald und bemerkte dessen betrübte Miene. Auch er hatte unter der Eroberung von Ravenswood gelitten, war doch seine Kirche niedergebrannt und sein Leben bedroht worden. Würden die Gewalt und das Töten jemals ein Ende nehmen? Würde dieses Land je wieder in Frieden leben können?
Der Geistliche räusperte sich. „Herrin, der Junge sollte ein christliches Begräbnis bekommen.“
„Der Meinung bin ich auch. Ich werde mit Lord Wulfrum darüber reden.“
Ein schwacher Trost, überlegte Elgiva, als sie einige Zeit später wieder aufbrach. Ihre eigene Machtlosigkeit war ihr zuwider. Hätte sie nur früher Alarm geschlagen, dann wäre der Junge vielleicht noch gerettet worden. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass der Rauch ihn schnell hatte ohnmächtig werden lassen, sodass er einen gnädigen Tod gestorben war. Zorn und Trauer rangen in ihr, während sie die vergangene Nacht im Geiste noch einmal durchlebte. Ein dummer Racheakt, und ein unschuldiges Kind hatte sterben müssen. Und heute würden deswegen noch mehr Menschen sterben. Sie wusste, Wulfrum hatte keine andere Wahl, als das zu tun, was er tat. Die Aufständischen waren ihre eigenen Landsleute, aber ihre Loyalität lag nun bei ihrem Ehemann, und sie konnte nur beten, dass er erfolgreich war und lebend zu ihr zurückkehrte.
Den Rest des Tages wartete Elgiva ungeduldig auf Wulfrums Heimkehr, auch wenn sie wusste, dass sie vor dem Abend nicht mit ihm rechnen konnte. Immer wieder versuchte sie sich mit Hausarbeit abzulenken, doch sie konnte sich auf nichts konzentrieren. Neben ihr saß Osgifu, die zerschlissene Kleidung flickte. Sie sprach nur wenig, ihr Blick wanderte immer wieder zu ihr hinüber.
Im Geiste sah Elgiva die Wälder, die so viele Verstecke zu bieten hatten. Sie sah die Reiter und Hunde. Würden sie eine Fährte finden? Würden sie auf das Lager der Rebellen stoßen? Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie die Schwerter im Kampf gegeneinanderschlugen, hörte das verbissene Ächzen der Männer, die Schreie der Verletzten, und sie sah das Blut, das vergossen wurde. Ihr wurde übel, und sie schaffte es gerade noch, aus dem Frauengemach zu laufen, um sich draußen im Gras zu übergeben. Mit zitternden Fingern zog sie ein Tuch aus dem Ärmel und hielt es auf ihre Lippen gedrückt, während sie wartete, dass die Übelkeit nachließ. Die andere Hand ruhte auf ihrem Bauch. Elgiva versuchte, sich mit
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