HISTORICAL BAND 295
gesprochen, dass sie Aylwin respektierte, aber dass sie ihn liebte, hatte sie beharrlich abgestritten. Es wäre nur eine Zweckehe gewesen, hatte sie glaubhaft versichert. Er wusste nicht, ob das die Wahrheit war. Aber falls nicht, warum hätte sie ihm dann im letzten Moment von ihren Treffen mit Aylwin erzählen sollen, wenn sie seinen Zorn und Schlimmeres fürchten musste? Er war so dicht davor gewesen, sie zu töten. Es schmerzte ihn, dass sie ihm die Wahrheit so lange vorenthalten hatte. Aber was war andererseits eine gemeinsame Zukunft wert, die auf Lug und Trug begründet war? Sie hatte ihn um Verzeihung angefleht, und er hatte sie abgewiesen, weil er zu wütend gewesen war. Inzwischen verstand er ihre Beweggründe besser. Als Kriegsbeute war sie zu einer Heirat mit einem ihrer Eroberer gezwungen worden. Ihre Welt war auf den Kopf gestellt worden, und sie hatte sich plötzlich in der unmöglichen Lage gefunden, sowohl ihm als auch ihrem Volk Loyalität zu schulden. Elgiva hatte nur getan, was sie ihrer Meinung nach hatte tun müssen. Konnte er ihr das zum Vorwurf machen?
Wulfrum seufzte und schalt sich einen Narren. Er hatte ihre Ehe als selbstverständlich hingenommen, und als sie zum ersten Mal wirklich auf die Probe gestellt wurde, hatte er sich von Wut und Eifersucht leiten lassen. Wut war für ihn ein vertrautes Gefühl, Eifersucht dagegen hatte er bis dahin nicht gekannt, denn bislang hatte ihm keine Frau genug bedeutet, um eifersüchtig zu werden. Er hatte Elgiva gesagt, dass er sie liebte, aber er war nicht in der Lage gewesen, sich in ihre Situation hineinzuversetzen, und genauso wenig hatte er ihr eine Chance gegeben, ihre Unschuld zu beweisen. Würde sie ihm je verzeihen können? Gab es nach diesem Vorfall noch eine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft? Er hoffte es inständig, denn der Gedanke, sie verloren zu haben, war mehr als schmerzhaft. Als er sie zur Frau genommen hatte, wäre er nicht auf die Idee gekommen, er könnte sie einmal so sehr lieben, dass nur noch sie ihm Schmerzen zufügen konnte.
Schließlich musste er diese Gedanken beiseiteschieben, da sie einen Abschnitt erreicht hatten, auf dem der Weg so schmal war, dass sie langsamer reiten mussten. Der Wald wurde dichter, die Landschaft war hier schroffer, und der Trupp musste zwischen zwei steilen Hängen hindurch, wodurch sie gezwungen waren, hintereinander zu reiten. Feuerdrache wurde auf einmal unruhig und schnaubte leise. Wulfrum wurde sofort hellhörig und hielt sein Pferd an, um den vor ihnen liegenden Weg und die Bäume ringsum wachsam zu mustern.
„Was ist los?“, fragte Eisenfaust, der sein Pferd dicht hinter Wulfrums zum Stehen brachte.
„Ich weiß nicht. Hört genau hin.“
Auf sein Zeichen hin verstummten alle Unterhaltungen. Von gelegentlichem Hufstampfen und dem Knarren des Sattelleders abgesehen war alles ruhig.
„Ich höre nichts“, sagte Eisenfaust schließlich.
„Eben.“
Der Riese kniff die Augen zusammen und sah sich die vor ihnen liegende Wegstrecke an. „Eine gute Stelle für einen Hinterhalt.“
„Ja, aber wir müssen nun einmal diesen Weg nehmen. Die Männer sollen besonders wachsam sein.“
Wulfrum hörte, wie der Befehl bis nach ganz hinten durchgegeben wurde und Schwerter gezogen wurden. Dann ließ er sein Pferd weitergehen, das seine Ohren unruhig mal in die eine, mal in die andere Richtung drehte und erneut schnaubte. Mit jedem Schritt wurde es langsamer. Damit bestätigte es Wulfrums Verdacht, dennoch entdeckte er nach wie vor keinen Hinweis auf einen lauernden Feind. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Wenn es zu einem Angriff kam, dann sicher erst, wenn er mit seinen Männern tief in den Hohlweg vorgedrungen war. Behutsam dirigierte er sein Pferd weiter, als auf einmal wie aus dem Nichts kommend ein Pfeil die Luft zerschnitt und einer der Männer hinter ihm aufschrie. Nur einen Moment später hagelte es weitere Pfeile, gegen die ihre Schilde sie nur zum Teil schützen konnten. Er sah, wie ein Mann von seinem Reittier fiel, ein Pfeil hatte sich tief in seinen Hals gebohrt. Gleich darauf erklang lautes Johlen und Schreien, und dann wimmelte es inmitten der Bäume von bewaffneten Männern, die die steilen Hänge hinabgerannt kamen. Nach der Kleidung und den bärtigen Gesichtern zu urteilen handelte es sich bei ihnen um Waldarbeiter, doch die Angreifer erwiesen sich als geschickt und kampflustig.
Sofort zog Wulfrum sein Schwert Drachenzahn, das mit tödlichem Schwung durch die Luft fuhr und
Weitere Kostenlose Bücher