HISTORICAL BAND 295
sie vermutete, dass er das so gut wusste wie sie.
Jeder weitere Gedanke wurde ihr unmöglich gemacht, da Wulfrum von seinen Männern weggezogen und auf die Schultern gehoben wurde. Im nächsten Augenblick verlor auch sie den Boden unter ihren Füßen.
„Bei Odin! Sie ist tatsächlich eine Waldelfe!“, rief Halfdan.
„Wieso?“, wollte Olaf Eisenfaust wissen.
„Überzeug dich selbst!“ Mit diesen Worten warf er sie mühelos Eisenfaust zu, der sie mit genauso wenig Anstrengung auffing.
„Tatsächlich, Ihr habt recht!“, bestätigte er und setzte sie sich auf die Schulter. Dann trug er sie an der Seite ihres Ehegatten zurück nach Ravenswood. Vor der Tür zum Großen Saal setzte er sie gleich neben Wulfrum ab, der sie bei der Hand nahm und unter dem Jubel der Menge über die Türschwelle führte.
Das Fest dauerte den ganzen Tag an und erstreckte sich bis tief in die Nacht. Es wurde gesungen und gelacht, und Met floss in Strömen. Alle stießen auf das frisch vermählte Paar an. Elgiva fühlte sich immer mehr wie eine unbeteiligte Zuschauerin. Zum Teil hing das auch mit der Menge an Wein und Ale zusammen, die sie zu sich genommen hatte. Im Vergleich zu dem, was die Männer um sie herum tranken, war es eigentlich so gut wie nichts, doch sie hatte wenig gegessen, darum stieg ihr der Alkohol zu Kopf, und ihr kam ihre Umgebung immer unwirklicher vor. Von Zeit zu Zeit bemerkte sie, dass jemand sie anschaute, und jedes Mal war es Wulfrums Blick, der auf ihr ruhte. So oft, wie sein Trinkhorn nachgefüllt wurde, regte sich bei ihr die Hoffnung, er könnte sich in einen Rausch trinken und einschlafen, bevor die Nacht vorüber war. Doch je länger sie ihn beobachtete, umso deutlicher wurde, dass der Met auf ihn kaum Wirkung hatte. Zugegeben, er lachte und scherzte mit seinen Männern, doch seine blauen Augen schauten so klar und wachsam drein wie immer.
Ihr Unbehagen wuchs, am liebsten hätte sie sich aus dem Saal geschlichen und wäre davongelaufen. Doch das war unmöglich, denn man würde sie schnell wiederfinden und zu ihrem Ehemann zurückbringen. Ihrem Ehemann ! Es war für sie unvorstellbar, dass sie seinen Ring trug, das Symbol des ewigen Bundes zwischen ihnen, ein Bund, der noch in dieser Nacht besiegelt werden würde, wenn er sie in sein Bett nahm. Sie presste die Lippen aufeinander. Wenn Wulfrum glaubte, dass sie ihm ohne Widerstand ihren Körper hingeben würde, dann hatte er sich getäuscht. Sie versuchte, den Widerwillen, der in ihr aufstieg, zu unterdrücken, damit niemand etwas davon mitbekam. Als sie den Kopf hob, bemerkte sie allerdings, dass Sweyn sie anstarrte und lächelte.
Elgiva hielt seinem Blick einen Moment lang stand, dann wandte sie sich ab, stellte er doch jetzt ihr geringstes Problem dar. Außerdem würde er in ein oder zwei Tagen weiterziehen, und sie würde ihn niemals wiedersehen.
Osgifu riss sie aus ihren Gedanken, als sie sich ihr gemeinsam mit Hilda und einigen anderen Frauen näherte. „Komm mit, Elgiva, es wird Zeit.“
Ihr Magen verkrampfte sich, und sie musste kurz die Augen schließen, um sich zu beruhigen. Die Frauen sollten sie ins Schlafgemach führen und für die Ankunft ihres Ehegatten vorbereiten. Das werde ich niemals über mich ergehen lassen, überlegte sie. Ich werde mich ihm nie hingeben. Ihre Finger strichen über das Heft des Messers, das sie am Gürtel trug. Die Berührung beschwichtigte sie ein wenig. Sie schlug die Augen wieder auf und stellte fest, dass Wulfrum sie ansah. Der Anblick seines spöttischen Lächelns bewirkte, dass sie sich am ganzen Leib versteifte. Mit aller noch verbliebenen Selbstbeherrschung erhob sie sich und folgte den Frauen zur Treppe, begleitet vom lauten Jubel der versammelten Menge.
Als sie das Gemach erreichten, war die Stille so erdrückend, dass Elgiva kaum noch atmen konnte. Von dem Gelächter und den Scherzen, die diesen Moment eigentlich hätten begleiten sollen, war nichts zu hören. Die Frauen schwiegen, ihre Gesichter freudlos und leer. Elgiva selbst stand unverrückbar wie ein Fels da, während sie den Gürtel und die Schnüre öffneten, die ihr Kleid zusammenhielten. Nachdem sie ihr aus dem Gewand geholfen hatten, trug Elgiva nur noch das Unterhemd am Leib. Jemand goss Wasser in eine Schüssel, damit sie Gesicht und Hände waschen konnte. Schließlich nahm Osgifu ihr den Blumenkranz ab und kämmte ihr Haar. Sie war bereit.
An einer Wand des Gemachs wartete bereits das große Bett auf sie. Die Blicke der Frauen wanderten
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