HISTORICAL BAND 295
doch schließlich immer noch der Feind. Zu Beginn hatte er nicht mehr gewollt als ihre körperliche Hingabe, doch nun verzehrte er sich nach weitaus mehr. Die grausame Ironie dieser Situation war ihm nur zu deutlich bewusst.
Nachdem er sich um sein Pferd gekümmert hatte, verließ Wulfrum den Stall und wollte in den Saal zu seinen Leuten gehen. Da bemerkte er aus dem Augenwinkel ein blaues Kleid, und als er den Kopf zur Seite drehte, entdeckte er Elgiva am Gatter zu der Weide, auf der ihre Stute graste. Seit seine Männer Ravenswood erobert hatten, war es ihr nicht mehr erlaubt gewesen zu reiten, dennoch ließ sie keine Gelegenheit ungenutzt, um ein wenig Zeit mit dem Tier zu verbringen. Offenbar empfand das Pferd ganz genauso, da es an die Umzäunung gekommen war, um Elgiva zu begrüßen, die der Stute über die Nüstern strich. Er konnte hören, dass sie leise zu dem Pferd sprach, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Sie blieb einige Zeit dort, ehe sie sich auf den Weg zum Turm machte. Ihr war anzusehen, dass sie sich förmlich zwingen musste, das Tier zu verlassen. Die Stute sah ihr nach und wieherte leise. Mit einem flüchtigen Lächeln schaute Elgiva über die Schulter zurück, dann ging sie weiter. Sie bemerkte ihn nicht, so vertieft war sie in ihre Gedanken. Wulfrum dagegen konnte sie gut sehen, und ihm wurde klar, dass die gelassene, erhabene Miene, die sie in der Gegenwart anderer zur Schau stellte, nur eine Maske war. Diese Maske hatte sie nun abgelegt, und er sah all das Unglück, das sie sonst dahinter verbarg. Der Anblick wirkte auf ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
11. KAPITEL
Am nächsten Morgen wurde sie durch einen Klaps auf ihre nackte Kehrseite aus dem Schlaf gerissen. Elgiva schreckte mit einem spitzen Schrei hoch und sah, dass Wulfrum über sie gebeugt stand. Er trug bereits Beinkleider und Waffenrock aus Leder, unter den Gürtel hatte er ein furchterregend aussehendes Messer geschoben.
„Steh auf, Weib. Es ist helllichter Tag, und ich will auf die Jagd gehen.“
„Verzeiht, Herr. Ich wusste nicht, dass es bereits so spät ist.“
Unter seinem interessierten Blick stieg sie aus dem Bett, zog ihr Unterkleid an und fuhr sich durchs Haar, um halbwegs passabel auszusehen. Wulfrum schlenderte grinsend zur Tür.
„Zieh dich an, Elgiva, ich möchte nicht noch länger warten.“
Sie gab ihre Bemühungen auf, ihre Haare zu einem behelfsmäßigen Zopf zu flechten, zog die Schuhe an und griff nach ihrem Kleid.
„Soll ich Euch etwas zu essen bringen?“
„Das kann eine der Dienerinnen erledigen. Mach dich fertig.“
„Herr …?“
„Für die Jagd. Du begleitest mich.“
Elgiva starrte ihn einen Moment lang verständnislos an, dann legte sich ein strahlendes Lächeln auf ihre Lippen. „Ist das Euer Ernst?“
„Wenn ich es dir doch sage. Außerdem braucht diese winzige Stute dringend Bewegung, aber sie hat nicht die Statur, um einen Mann zu tragen. Und jetzt beeil dich.“
Das ließ sich Elgiva nicht zweimal sagen. Sofort rief sie Osgifu zu sich, damit sie ihr half, die Reitkleidung anzulegen: die Beinlinge, das Hemd und das lederne Wams, das sie stets getragen hatte, wenn sie mit ihrem Vater auf die Jagd gegangen war. Sie hatte nicht geglaubt, diese Sachen noch einmal anziehen zu können. Ihr Herz schlug schneller bei der begeisternden Aussicht darauf, einen langen Ausritt zu unternehmen und frische Luft zu atmen. So ungeduldig war sie, dass sie kaum still sitzen konnte, während Osgifu ihr die Haare kämmte und flocht.
Als sie endlich fertig war, stürmte sie hinunter auf den Hof, wo Wulfrum mit seinen Männern auf sie wartete. Ihre Stute war bereits gesattelt, sodass sie nur noch aufsitzen musste.
Bei Elgivas Anblick musste Wulfrum schmunzeln, aber er verkniff sich jeden Kommentar zu ihrer Kleidung und stieg stattdessen in seinen Sattel. Der Rappe wollte am liebsten sofort losgaloppieren, aber Wulfrum hielt ihn zurück und wartete, dass Elgiva aufsaß. Die zierliche Stute wirkte neben den Pferden der Wikinger zwar winzig, doch Elgiva wusste, ihr Tier konnte es mit allen anderen aufnehmen. Mara schien die Begeisterung ihrer Reiterin zu spüren und bäumte sich ein Stück weit auf, als ob sie hinaus in die Freiheit wollte. Lachend tätschelte Elgiva ihr den Hals.
Nachdem die Jagdgesellschaft das Tor passiert hatte, ließ Wulfrum die Pferde zu einem gemäßigten Tempo anhalten, damit diese nicht schon vor der eigentlichen Jagd ermüdeten. Elgivas Stute erwies sich als besonders
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