HISTORICAL BAND 295
draußen und ging zum unbewachten Seitentor. Dieses Tor in der Palisade war stets von innen verriegelt, aber das stellte für sie kaum ein Hindernis dar. Unauffällig schlüpfte sie durch das Tor und machte sich auf den Weg zum Wald. Die Stelle, zu der sie wollte, war nicht weit entfernt, sie lag abgeschieden an einem Felsvorsprung, von dem sich der Wasserlauf in einen kleinen Teich ergoss, ehe er in Richtung Dorf hinabfloss. Der Gedanke an das kühle, klare Wasser war verlockender denn je, zudem wusste sie, dass sie zu dieser Tageszeit völlig ungestört sein würde.
Die Morgenluft war angenehm frisch und roch nach feuchter Erde. Auf den Grashalmen schimmerten Tautropfen, die den Saum ihres Kleids und ihre Schuhe feucht werden ließen. Elgiva lächelte, während sie zielstrebig auf das Bachufer zusteuerte. Sie folgte dem schmalen, gewundenen Lauf, bis sie endlich am Teich angelangt war. Nach einem prüfenden Blick in alle Richtungen war sie davon überzeugt, dass sie allein war, und entledigte sie sich ihrer Kleidung. Beim ersten Schritt ins Wasser schnappte sie nach Luft. Es war eiskalt! Aber die Erfrischung war nach der Hitze der letzten Tage so wohltuend, dass sie sich ein Herz fasste und ganz untertauchte.
Wulfrum erwachte früh an diesem Morgen, reckte sich und gähnte genüsslich. Obwohl es noch so früh am Tag war, herrschte im Gemach bereits eine beträchtliche Wärme. Er drehte sich auf die Seite und streckte den Arm nach Elgiva aus. Doch seine Hand fasste ins Leere. Sofort war er hellwach und sah sich um. Sie war nirgends zu entdecken, ihr Kleid lag nicht mehr dort, wo sie am Abend zuvor hingelegt hatte, und die Tür war entriegelt. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett, und nur Augenblicke später war er fertig angezogen und auf dem Weg nach draußen. Unten im Saal lagen seine Männer und schliefen auf Bänken und auf dem Fußboden, ohne seine Gegenwart zu bemerken. Von seiner Ehefrau war auch hier nichts zu sehen. Er ging weiter und schaute sich auf dem Hof um, doch auch hier rührte sich um diese Uhrzeit noch nichts. Dann fiel sein Blick auf das Seitentor, und er sah, dass es ebenfalls entriegelt war. Sofort rannte er zum Stall und sattelte sein Pferd Feuerdrache.
Wenig später saß er auf und ritt in Richtung Wald. Er hatte eine Ahnung, wohin Elgiva unterwegs war, und sein Verdacht bestätigte sich, als er Fußspuren im feuchten Gras entdeckte. Sie hatte nicht davon gesprochen, dass sie heute Morgen wieder Pflanzen sammeln wollte, und sie wurde auch nicht von einem seiner Männer begleitet. Sobald er sie gefunden hatte, würde er ein ernstes Wort mit ihr reden müssen. Er hielt sein Pferd zum gemäßigten Tempo an und folgte der Fährte bis zum Bach. Dort zügelte er Feuerdrache, suchte nach weiteren Spuren und entdeckte in der lockeren Erde den Abdruck eines Schuhs. Es war ein schmaler kleiner Schuh, eindeutig für den zierlichen Fuß einer Frau bestimmt. Elgiva war also tatsächlich in der Nähe. Er fragte sich, was sie hier zu suchen hatte. Auch nach so vielen Wochen verstand sie es noch immer, ihn zu überraschen und aus der Ruhe zu bringen. Aber es war gerade diese Unberechenbarkeit, die ihren Reiz ausmachte. Er ließ das Pferd dem Uferverlauf folgen, bis das Unterholz so dicht wurde, dass er absitzen und zu Fuß weitergehen musste. Der schmale Pfad führte ihn zu einem kleinen Wasserfall, der sich in einen Teich ergoss … in dem eine Frau schwamm. Grinsend begab sich Wulfrum zu einem Platz, von dem aus er den Teich unbemerkt beobachten konnte.
Elgiva ließ sich Zeit, bis sie schließlich ans Ufer schwamm. Die Sonne stand bereits deutlich höher, und es war besser, wenn sie nach Ravenswood zurückkehrte, ehe jemandem ihre Abwesenheit auffiel. Wulfrum würde es gewiss nicht gefallen, dass sie ohne einen Beschützer aufgebrochen war, aber mit etwas Glück war er vielleicht noch gar nicht aufgewacht, wenn sie wieder zu Hause eintraf. Triefend nass watete sie aus dem Wasser und wollte nach ihrem Unterkleid greifen, als sie plötzlich spürte, dass sie nicht allein war. Abrupt drehte sie den Kopf und schnappte entrüstet nach Luft, als sie Wulfrum erblickte.
„Ihr!“
Er grinste sie schamlos an. „Ich.“
„Was macht Ihr hier?“
„Ich war auf der Suche nach dir.“
„Wie lange seid Ihr schon hier?“
„Lange genug“, antwortete er und fügte im Geiste hinzu: Lange genug, um diesen wundervollen Körper bewundern zu können. Auch wenn sie jetzt das Unterkleid vor sich hielt, konnte er
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