HISTORICAL BAND 295
ungeduldig, nachdem sie so lange Zeit nichts weiter als den Stall und die Weide gesehen hatte, aber ihre Kapriolen schienen Elgiva keine Schwierigkeiten zu bereiten. Wulfrum hörte sie leise auf das Tier einreden, das prompt den Kopf ein wenig sinken ließ und ruhiger wurde. Zufrieden stellte er fest, dass sie eine gute Reiterin war.
Sie ritten tiefer in den Wald hinein und folgten dabei einem festgetretenen Pfad, der breit genug war, dass zwei Pferde nebeneinander laufen konnten. Begleitet wurden sie von Dienern, die die Jagdhunde an der Leine führten.
Elgiva atmete tief die frische Luft ein und konnte fühlen, wie die Anspannung von ihr abfiel. Neben ihr schien Wulfrum in Gedanken versunken zu sein, doch das störte sie nicht. Für sie zählte nur, dass sie auf ihrer Stute sitzen und endlich wieder reiten konnte. Von Zeit zu Zeit warf sie ihm jedoch einen Seitenblick zu und bewunderte, mit welcher Leichtigkeit er die Kräfte seines Rappen kontrollierte. Er bewegte sich so völlig im Einklang mit den Bewegungen des Pferds, dass es fast schien, als seien die beiden zu einem Ganzen verschmolzen. Als sie sich fragte, wo er so gut Reiten gelernt hatte, kam ihr die Erkenntnis, dass es noch sehr viele Dinge gab, die sie über ihren Ehemann nicht wusste.
Schließlich entdeckten sie eine deutliche Fährte auf dem Waldboden, und die Hunde wurden losgelassen. Schnell witterten sie Beute und liefen los. Die Reiter folgten ihnen, wobei sie sich einen Weg zwischen den Bäumen hindurch bahnen mussten. Es war ein alter Wald, und die Äste der Buchen und Eichen bildeten ein so dichtes Laubdach, dass kaum ein Sonnenstrahl hindurchdrang. Elgiva drückte Mara die Hacken in die Flanken und beugte sich tief über den Hals des Tiers, um nicht gegen niedrige Äste zu stoßen. Plötzlich waren die Rufe der Männer zu hören, die ihre Pferde zu größerer Eile antrieben.
Der Eber war zunächst schnurstracks durch den Wald gelaufen, doch jetzt hatte er offenbar einen Haken geschlagen und rannte einen steilen Hang hinab, der dicht mit Schwarzdorn bewachsen war. In diesem Dickicht war es für die Reiter viel schwieriger, ihm zu folgen. Elgiva zog kräftig an den Zügeln und überlegte blitzschnell. Wenn sie den Eber im Dickicht verfolgte, würden sie und ihr Pferd einige fürchterliche Kratzer davontragen, das wusste sie aus Erfahrung. Ganz in der Nähe hatten einmal die Männer ihres Vaters einen Eber erlegt. Der Hang endete an einem Fluss, dahinter erstreckte sich weiter der Wald. Vermutlich versuchte der Eber, ins Wasser zu gelangen, damit die Hunde seine Fährte verloren. Aber Elgiva kannte einen Weg, der um diesen Hang herumführte. Sie lenkte Mara dorthin und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Wulfrum auf seinem Hengst ihr folgte. Unwillkürlich musste sie lächeln, denn er hatte sie bislang kein einziges Mal aus den Augen gelassen. Jetzt würde sich zeigen, ob sein Pferd es in Sachen Schnelligkeit und Ausdauer mit ihrem aufnehmen konnte. Elgiva blieb auf dem gewählten Weg und hoffte, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Rechts von sich hörte sie Wulfrums Männer fluchen, offenbar hatten sie mit den Dornen Bekanntschaft gemacht. Als sie um die Biegung kam, die der Pfad beschrieb, konnte sie vor sich den Fluss und gleich darauf die Hunde ausmachen. Sie hatte also richtig vermutet. Während sie sich der Stelle näherte, sah sie, wie die anderen Reiter aus dem Dickicht hervorbrachen und ihre Pferde in Richtung Fluss trieben. Sie zügelte Mara und folgte den Männern ins Wasser. Die Hunde liefen aufgeregt hin und her, da sie versuchten, die Fährte wieder aufzunehmen. Augenblicke später war Wulfrum neben ihr und lächelte sie amüsiert an.
„Du kennst das Land sehr gut, Elgiva.“
„Ich bin hier viele Male geritten. Wenn mein Vater auf die Jagd ging, habe ich ihn immer begleitet.“
„Das erklärt es natürlich.“ Wulfrum lehnte sich in seinem Sattel ein Stück nach hinten, um Elgiva forschend anzusehen. „Du folgst deinem eigenen Weg.“
„Wenn es der bessere Weg ist.“
Er schaute zu seinen Männern, die an Gesicht und Händen mit blutigen Kratzern übersät waren. Sogar die Lederkleidung hatte unter den Dornen gelitten.
„In diesem Fall war es ganz sicher der bessere Weg“, meinte er lachend. „Ich bin kein Freund von Schwarzdorn.“
„Ich auch nicht.“
In diesem Moment hatten die Hunde die Fährte wiedergefunden, und die Jäger nahmen die Jagd erneut auf. Elgiva trieb ihr Pferd an, das sofort zum Galopp
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