HISTORICAL BAND 295
entschied sie. „Sonst wird sie sich entzünden und eitern.“
Wulfrum widersprach nicht, da die Wunde schmerzhaft war. Sicher hatte sie recht, dass es besser war, sie zu versorgen.
Beim Anblick seiner Verletzung wurde Elgiva vor Augen geführt, wie viel er ihretwegen riskiert hatte – so viel, dass sie ihn beinahe verloren hätte.
Länger konnte sie jedoch nicht darüber nachdenken, da Wulfrums Männer, angeführt von Olaf Eisenfaust, auf die Lichtung geritten kamen. Sie brachten ihre Pferde zum Stehen, Eisenfaust sah zunächst das vor ihm stehende Paar an, dann wanderte sein Blick weiter zu dem toten Tier.
„Bei Odins Bart, das ist ein stolzer Eber“, stellte er fest. „Der muss einen guten Kampf geliefert haben.“
„Er war angemessen“, antwortete Wulfrum grinsend.
Sie unterhielten sich kurz darüber, wie das erlegte Wildschwein nach Ravenswood gebracht werden sollte, und nachdem Eisenfaust sich vergewissert hatte, dass die anderen Männer die Anweisungen ausführten, holte er die beiden Pferde zurück, die sich in der Zwischenzeit am Rand der Lichtung eingefunden hatten und friedlich grasten. Wulfrum drehte sich zu Elgiva um.
„Komm, es ist spät. Lass uns nach Hause zurückkehren.“
Sie verspürte unendliche Erleichterung, als Ravenswood in Sichtweite kam. Dort angekommen, saß Elgiva sofort ab und zog Wulfrum hinter sich her in ihr gemeinsames Gemach, dann schickte sie eine Magd los, damit sie heißes Wasser und Tücher brachte. Sobald sie allein waren, half sie ihm, den Gürtel zu lösen und den Waffenrock auszuziehen. Der Ärmel seines Hemdes hatte sich mit Blut vollgesogen. Vorsichtig zog sie ihm auch dieses Kleidungsstück aus, bevor sie mit kenntnisreichem Blick den Schaden an seinem Arm begutachtete.
„Du hast Glück gehabt“, sagte sie schließlich. „Es ist keine tiefe Wunde, aber säubern muss ich sie dennoch.“
Wulfrum erwiderte nichts darauf, sondern setzte sich nur hin, während sie alle notwendigen Vorbereitungen traf. So oft hatte er schon gesehen, wie sie die Verletzungen anderer versorgte, doch er wäre nie auf die Idee gekommen, eines Tages einmal selbst diese Hilfe zu benötigen. Aufmerksam beobachtete er sie, wie sie auf ihre Arbeit konzentriert war, wie sie mit ihren zierlichen Händen geschickt das Blut abwischte und die Wunde säuberte. Ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und umgaben ihr Gesicht. So vertraut war ihm dieses Gesicht mittlerweile, dass er die Augen schließen und es sich ohne Mühe ins Gedächtnis zurückrufen konnte. Und genauso deutlich erinnerte er sich an den Kuss, den sie ihm gegeben hatte, an den Geschmack ihrer Lippen, an den verführerischen Duft ihrer Haut.
„Die Hauer eines Ebers sind schmutzig“, unterbrach sie seine Überlegungen, „deshalb muss die Wunde mit Wein ausgewaschen werden. Das … wird schmerzhaft sein.“
„Ich werde es überleben.“
Er klang, als mache es ihm nichts aus, doch als der Wein auf rohes Fleisch traf und Wulfrum scharf einatmete, wurde deutlich, dass es ihm nicht ganz so gleichgültig war, wie er sie gern hätte glauben lassen.
„Tut mir leid“, sagte sie.
Wulfrum biss die Zähne zusammen und erwiderte nichts, doch sein mit einem Mal bleiches Gesicht sprach Bände. Um die Schmerzen nicht unnötig lange hinauszuzögern, arbeitete sie so zügig sie konnte und bereitete eine Mixtur aus verschiedenen Kräutern vor, die zusätzlich gegen eine Entzündung wirken würde. Nachdem sie dieses Mittel aufgetragen hatte, legte sie einen Verband an.
„Der Verband bleibt für drei Tage, wie er ist, dann werde ich ihn wechseln.“
„Wie du meinst.“ Wulfrum spannte die Hand vorsichtig an. „Die Schmerzen lassen bereits etwas nach.“
Als sie sah, dass seine Wangen wieder Farbe bekamen, lächelte sie zufrieden. „Das freut mich.“
Er schaute ihr tief in die Augen. „Vielen Dank.“
„Das war das Mindeste, was ich tun konnte.“
Bedächtig stand er von seinem Stuhl auf, nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Ihre Haut prickelte wohlig bei dieser Berührung, die in ihr wieder die Erinnerung an ihre Gefühle auf der Lichtung wachrief. Sie nahm seine Nähe deutlicher wahr als je zuvor, seine Wärme, seinen Duft. In diesem Moment wusste sie nur eines, nämlich, dass sie ihn begehrte. Sollte er sie jetzt küssen … Sie schloss die Augen, um sich zu beruhigen, dabei merkte sie, dass er ihre Hand losließ. Langsam ging er an ihr vorbei, und sie konnte hören, wie er den Riegel vor die Tür
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