Historical Band 298
Was machst du da in dem Bottich?“
4. KAPITEL
J a ne riss die Augen auf.
Die Hände in die Hüften gestützt, stand Duncan auf der anderen Seite des Hofs. Er hatte sich rasiert, sodass sie die harten Konturen seines Kinns ausmachen konnte.
Erschrocken wollte sie aufstehen, kroch aber gerade noch rechtzeitig tiefer ins Wasser. Sie trug zwar ihre Tunika, aber nass wie sie war, würde sie an ihrem Körper kleben und deutlich zeigen, dass ihr das, was einen Mann ausmachte, fehlte.
„Nicht näher kommen“, rief sie und wedelte mit der Hand. „Eure Wäsche ist schon fertig.“
„Das sehe ich. Das war aber nicht meine Frage. Ich fragte dich, warum du in dem Waschbottich sitzt.“
„Na, Ihr seid doch der Studierte. Sagt Ihr es mir.“ Ihr Herz raste. Aus Angst? Oder aus einem anderen Grund?
Ohne den Bart konnte sie auch seinen Mund besser sehen, die wohlgeformte Oberlippe und die überraschend volle Unterlippe.
Sie fragte sich, wie sich dieser Mund wohl auf ihren Lippen anfühlte.
Ein gefährlicher Gedanke, wo sie doch halb nackt in einem Zuber mit langsam kalt werdendem Wasser saß. „Seht Ihr denn nicht, dass ich ein Bad nehme?“ Spöttisch ahmte sie seinen Akzent nach.
„Glaubst du, ich bin so gemein, dass ich dich in einem Wäschebottich baden lasse?“
Er war in gereizter Stimmung. Im übrig gebliebenen Waschwasser zu baden war äußerst vernünftig und in vielen Häusern üblich. „Ich verstehe nicht, wieso meine Badegewohnheiten etwas über Euch aussagen sollten.“
Er blinzelte und schenkte ihr ein etwas schiefes Lächeln. „Du könntest in Logik Erfolg haben, Little John.“ Er kam auf sie zu. „Der Proctor der Universität missbilligt das Badehaus, aber da du bei den Pferden geschlafen hast, wird er wohl eine Ausnahme machen. Komm mit. Wir teilen uns einen Zuber. Waschen wir uns den Staub der Reise ab.“
Der Gedanke, Knie an Knie, nackt, mit Duncan in einem Badehauzuber zu sitzen, raubte ihr den Atem. „Nein, geht ohne mich.“ Sie wedelte mit der Hand und betete, er möge nicht näher kommen. „Ich bin schon fertig. Ich brauche nicht noch einmal zu baden.“
„Jetzt sei nicht töricht, John. Du riechst wie ein Pferdestall im August.“
„Nein!“ Sie verwünschte die schrille Panik in ihrer Stimme. „Nicht näher kommen!“
Dem Himmel sei Dank, er blieb stehen. „Warum nicht?“
Warum nicht? „Ich habe eine Verletzung.“
Ihre Worte veranlassten ihn, weiterzugehen. „Ich studiere Medizin. Lass mich mal sehen …“
„Nein!“ Jetzt schrie sie. „Es ist eine alte Wunde. Ich möchte nicht … Ich meine, es ist nicht …“
Er hob beruhigend die Hände und trat einen Schritt zurück. Eine verlegene Röte war ihm ins Gesicht gestiegen, bis zu den Brauen hinauf, die er jetzt spöttisch hochzog. „Kriegsverletzung?“
Ihre Wangen brannten. Und auch weiter unten wurde ihr heiß. „Unfall.“ Manchmal war die Wortkargheit der Männer ein Segen.
Etwas geschah in seinem Gesicht, und das Lächeln verschwand. „Nimm dir ruhig Zeit.“ Er drehte sich um und ging ins Haus.
Sie ließ sich ins lauwarme Wasser zurücksinken und freute sich, dass sie ihr Bad genossen hatte. Es würde so bald kein weiteres geben.
Wenn Duncan sie das nächste Mal sah, würde sie ihre Beinlinge vorne mit etwas ausgestopft haben, das aussah, als würde es zu einem Mann gehören.
Little John ist schon ein seltsames Kerlchen, dachte Duncan beklommen, während er die kostbar gebundenen Bücher in der Bibliothek der Herberge durchsah. Als er den Jungen in dem Bottich erblickt hatte, war ein ganz seltsames Gefühl in ihm erwacht. Fast so, als …
Er verdrängte den Gedanken so rasch, als würde er eine Tür zuschlagen.
Eine Verletzung, hatte er gesagt. Duncan hatte kein Hinken, keine Verstümmelung an dem Jungen bemerkt. Aber es musste schon etwas Ernstes sein, wenn er so empfindlich reagierte.
Fast hätte er sein Buch fallen lassen.
Es musste etwas sein, das den Jungen daran hinderte, ein richtiger Mann zu sein. Ihm schauderte, und er war froh, Little John nicht gezwungen zu haben, ihm seine Schande zu offenbaren. Solch eine Verletzung war selten, aber sie würde die hohe Stimme des Jungen erklären.
Unpassenderweise machte sich bei dem Gedanken seine eigene Männlichkeit bemerkbar. Der Krieg, die Reise, sein Treffen mit dem König – all das hatte ihn in den vergangenen Wochen seine eigenen Bedürfnisse vernachlässigen lassen. Aber wenn der Bursche wirklich seine Männlichkeit verloren hatte …
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