Historical Exclusiv 45
hinauf und rollten die große Segelfläche auf. Das Langboot schaukelte sanft auf den Wellen der Bucht.
Auf Roriks Befehl wurden die Klappen geöffnet, die Ruder geräuschvoll ausgefahren, und dann nahm das Boot unter den kräftigen Schlägen der Mannschaft wieder langsam Fahrt auf, um an den kleinen, verstreut liegenden Inseln vorbeigesteuert zu werden.
Yvaine bot sich ein friedliches Bild. Strohgedeckte Häuser säumten die Bucht. Äcker und Felder zogen sich an sanften Hügeln bis zum Waldrand hinauf. Dahinter ragten hohe Felsen, die der Ansiedlung Schutz vor Stürmen und feindlichen Attacken vom Land her boten. Zwischen den Bäumen lagen vereinzelte Bauernhöfe auf der Anhöhe.
„Könnte auch ein Hafen in England sein“, meinte Anna. „Nur gibt es bei uns keine Berge.“
„Sie sehen so hoch und kalt aus“, flüsterte die kleine Eldith schüchtern.
Britta legte den Arm um die Schultern des Kindes. „Bei uns in England gibt es auch Berge.“
„Ja. In ein paar Monaten habt ihr euch daran gewöhnt“, sagte Thorolf und wandte sich an Yvaine. Sein Blick streifte ihre mittlerweile stark mitgenommene Männerkleidung. „Rorik sagt, Ihr sollt im Zelt bleiben. Er wird Euch anständige Kleider besorgen, sobald er weg kann.“
„Wie aufmerksam“, murmelte sie spitz, während Thorolf sich zur anderen Seite des Bootes begab, um die Wassertiefe zu prüfen.
„Ihr solltet ihm dankbar sein“, sagte Britta trocken. „So wie ich.“
„Was willst du damit sagen?“, fragte Yvaine stirnrunzelnd.
Britta wies mit dem Kopf in Roriks Richtung. „Ihr habt es möglicherweise nicht mitgekriegt, aber gestern nach Ketils Tod erhob Othar Ansprüche auf mich. Rorik lehnte ab und befahl ihm, das Angebot des Mannes anzunehmen, der uns den Kamm geliehen hat, als wir im Fluss baden durften. Er will mich und Eldith zu sich nehmen. Er hat Frau und Tochter vor ein paar Jahren durch Krankheit verloren und ist einsam.“ Ein scheues Lächeln flog über ihre Gesichtszüge. „Er war ganz verlegen und geriet ins Stottern, als er seine Bitte vortrug, aber ich habe trotzdem einigermaßen verstanden, was er sagte.“
„Und darüber kannst du lächeln? Britta …“
„Jedenfalls besser, als bei diesem Scheusal Othar zu bleiben oder von Eldith getrennt zu werden und an einen Fremden verkauft zu werden. Grim war wenigstens ehrlich zu mir und scheint ganz freundlich zu sein. Er versprach sogar, sich noch zu gedulden, bis ich mich an ihn gewöhnt habe.“
„Ja. Dieses Versprechen gab Rorik auch mir“, entgegnete Yvaine bitter. „Als würde das etwas ändern.“
Anna lächelte seltsam. „Zweifelt Ihr daran?“
Yvaine war um eine Antwort verlegen. Diese Frage war nie verstummt, hatte sich immer wieder in ihre Gedanken geschlichen, bis sie sich vorkam wie eine Maus im Käfig, die im Kreis herumrannte, ohne einen Ausweg zu finden.
Warum hatte sie nicht gestern erneut auf einem Gespräch bestanden, statt bei den anderen Frauen zu bleiben? Warum hatte sie nicht gefordert, ihm zugesetzt, ja sogar gebettelt, freigelassen zu werden? Nun stürmte ihr Schicksal auf sie zu wie eine Belagerungsramme, die nicht aufzuhalten war.
„Ich weiß nicht“, murmelte sie. „Ich habe mir geschworen, nie wieder an einen Mann gekettet zu sein. Und jetzt … ich weiß es einfach nicht.“
Britta und Anna wechselten verblüffte Blicke.
„Was wollt Ihr damit sagen, Lady? Dass Ihr ihn begehrt?“
„Nein, nein! Natürlich nicht! Es ist nur … Hältst du es nicht für falsch, dich so widerstandslos zu ergeben, Britta? Du sagst, Grim scheint ein freundlicher Mensch zu sein, aber dir bleibt doch keine Wahl. Und du bist dankbar um einen winzigen Zeitaufschub. Das ist einfach ungerecht.“
„Aber was könnten wir Frauen denn anderes tun, als uns damit abzufinden, dass Männer über unser Leben bestimmen? Schaut Euch doch an. Ihr seid eine Cousine des Königs, seid eine Lady von Stand. Aber hattet Ihr die Wahl, Euch den Gatten auszusuchen, der Euch gefallen hätte?“
„Das ist etwas anderes. Eine Heirat ist wenigstens etwas Ehrenhaftes.“
„Nun ja, was das anlangt …“ Britta errötete und wagte einen flüchtigen Blick zu ihrem Wikinger am Ruder hinüber. „Grim druckste herum und brummte etwas von Kindern, aber ich glaube, damit wollte er sagen, dass wir eines Tages heiraten.“ Sie blickte Yvaine forschend in die Augen. „Würdet Ihr Euch besser fühlen, wenn auch Rorik …“
„Nein! Ich spreche nicht von mir“, fiel sie Britta schroff
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