Historical Exclusiv 45
zuteilwerden.
„Fordere Ketil zum Zweikampf, sobald wir in Norwegen sind“, schlug Othar vor.
Thorolf schnaubte verächtlich, ehe Rorik antwortete. „Du kennst die Gesetze wie alle anderen, Othar. Orns Mörder geht mit seinem Leichnam über Bord.“
Hinter den Männern ertönte ein spitzer Schrei.
Rorik fuhr herum. Yvaine stand nur wenige Schritte entfernt, beide Hände vor den Mund geschlagen, als habe sie versucht, den Schrei zu ersticken. Ihre Augen waren riesig im aschfahlen Gesicht.
„Rorik …“
Sein Zorn machte ihn taub. Zum ersten Mal hatte sie ihn beim Namen genannt, ausgerechnet in dieser Situation. Er trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Sagt kein Wort mehr“, befahl er. „Kein einziges Wort. Das hier geht Euch nichts an.“
Namenloses Entsetzen ließ sie verstummen. Er drehte sie um und gab ihr einen sanften Stoß. „Geht zu den anderen Frauen zurück. Und schaut nicht hin, wenn Ihr zu zimperlich seid, um ein nordisches Gerichtsurteil zu ertragen.“
Yvaine entfernte sich benommen, wagte nicht, sich umzudrehen. Hinter ihr erhob sich wieder verzweifeltes Gezeter, dessen Wortlaut sie nicht verstand. Sie sah, wie Britta die kleine Eldith an ihren Busen drückte und ihr die Ohren zuhielt, blieb den Frauen aber fern.
Yvaine erinnerte sich plötzlich, dass Ketil auf die beiden Besitzansprüche erheben wollte, sobald das Schiff in der Heimat vor Anker ging.
Dem Geschrei folgte eine tödliche Stille, gefolgt von einem Aufklatschen im Wasser. Sie stand wie gelähmt, atmete kaum. Er war ein Barbar, entstammte einem grausam wilden Volk von Heiden. Ihm waren menschliche Regungen fremd, er empfand nichts dabei, einen anderen mit einem unsagbar grausigen Tod zu bestrafen. Nicht einmal ein Mörder verdiente ein so schreckliches Schicksal.
Und dennoch schreckte sie nicht vor dem Gedanken zurück, sich ihm hinzugeben. Sie war dem Wahnsinn verfallen, einem Wahnsinn, der aus ihrer Abhängigkeit geboren war. Hatte sie nicht vor kurzem noch gedacht, Rorik habe sie vor Ceawlins Grausamkeit gerettet? Und nun erwies er sich als weit grausamer als ihr abscheulicher Gemahl.
„Das ist alles ihre Schuld“, schrie Othar direkt hinter ihr.
Yvaine wirbelte herum.
Rorik stand zwischen ihr und seinem Bruder, hielt ihr den Rücken zugewandt. Sie hatte nicht die Absicht, sich hinter ihm zu verstecken, und trat einen Schritt seitwärts, um beide Männer sehen zu können.
Die Mannschaft wurde von Thorolf wieder an die Ruder befohlen. Yvaine spürte, wie Anna und Britta sich ihr vorsichtig näherten.
„Ich habe selbst gehört, wie sie behauptet hat, ihr Gott ist mächtiger als Odin“, beschuldigte Othar sie. „Und du hast dir ihr Geschwätz angehört. Diese tödliche Windstille ist Odins Rache.“
Roriks Miene verhärtete sich. „Es tut mir Leid um deinen Freund, Othar. Aber Ketil hat seinen Tod selbst verschuldet.“
„Er fürchtete, dass Orn einen kräftigeren Kämpfer gegen ihn antreten lassen würde, weil er selber zu alt war. Ketil wusste nicht, ob er gewinnt, um seine Unschuld zu beweisen.“
„Das ist kein Grund, um …“
„Und wie viele Männer müssen noch sterben, bevor du wieder zu Verstand kommst und die Dirne ins Meer wirfst?“
„Niemand stirbt auf diesem Schiff“, hielt Rorik ihm im Tonfall eines Feldherrn entgegen. „Schlimmstenfalls müssen wir das Trinkwasser rationieren, falls die Windstille noch länger anhält.“
„Wir sollen diesen Christenweibern von unserem Trinkwasser abgeben?“ Othars Stimme überschlug sich. „Sie taugen nicht einmal zu Sklavinnen, und du hast verboten, dass wir uns mit ihnen vergnügen. Ich schlage vor, wir töten sie.“
„Ich habe dich nicht um Vorschläge gebeten“, sagte Rorik gleichmütig und wandte sich zum Gehen.
„Nein, du hörst ja nie auf das, was ich sage“, schrie Othar wutentbrannt. „Ich habe vorgeschlagen, den Sommer in Irland zu bleiben. Von dort hätten wir Raubzüge nach Britannien unternehmen können, aber …“
„Land in Sicht!“
Der Ruf ertönte vom Ausguck auf dem Mast und schnitt Othars Schimpftirade ab. Gott sei Dank, dachte Rorik und spürte, wie seine Nackenhaare sich sträubten. Wieso Gott? Er war fertig mit dem Christentum, hatte sich vor acht Jahren davon abgewandt, als …
Er schüttelte den Kopf und richtete den Blick suchend auf den Horizont und sichtete einen dünnen grauen Strich in der Ferne. „Lass das Segel setzen“, rief er zu Thorolf hinüber. „Entlang der Küste kommt
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