HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
seine Nichten unterrichtete. Selbst wenn er ihr vergeben könnte, ihre Anwesenheit hier war ihm unerträglich. Schon mal, weil sie auf Varina und ihre unschuldigen Töchter so einen großen Einfluss ausübte. Was Annie und Katy bei ihr lernen würden, wenn sie größer wurden, konnte er sich gut vorstellen: flirten, betrügen, verraten.
Eins war sicher: Er würde dafür sorgen, dass Lydia, Sarah, oder wie sie nun hieß, aus Minor’s Gulch verschwand. Er durchquerte den Hof, nahm die Axt und machte sich wie ein Wahnsinniger über die Stämme her, die zerkleinert werden mussten. Jeder Schlag brachte eine andere Erinnerung zurück: Lydia, wie sie ihn über ihr Weinglas fixierte, wie ihre Blicke sich trafen, wie sie dann zu Virgil hinsah – Lydia, lachend wie ein kleines Mädchen, als Virgil ihr auf der Schaukel im Garten Schwung gab; Lydia beim Walzer im Ballsaal mit schmaler Taille und fliegenden Röcken wie eine aufgeblühte Pfingstrose. Wenn sie nicht zu Virgil gehört hätte …
Donovan ließ die Axt auf das süß duftende Kiefernholz niederfahren, dass ihm die Splitter nur so um die Ohren flogen. Irgendwie werde ich sie los, schwor er sich. Was es mich auch kostet, sie wird von hier verschwinden.
Miner’s Gulch war während des Goldrausches um 1850 aufgeblüht. In seinen besten Zeiten hatte es fast tausend Einwohner gehabt, die meisten davon waren inzwischen fortgezogen. Nur zweihundert Seelen blieben, sie klammerten sich an ihre Claims, die mit hölzernen Wasserrinnen zum Goldwaschen gesprenkelt waren. Von den wenigen, die ausharrten, träumten ein paar immer noch von dem großen Fund. Die meisten hatten resigniert. Sie waren nur geblieben, weil sie zu arm waren, um ihr Bündel zu schnüren und woanders ihr Glück zu suchen, oder nicht wussten, wohin sie gehen sollten.
Donovan wanderte den zwei Meilen langen Bergpfad hinunter, der von Varinas Besitz zum Ort führte. Inzwischen war es Mittag. Unter der Sonne schmolz der Schnee schnell. Das Wasser tropfte von den kahlen Ästen und verwandelte den Boden unter seinen Stiefeln zu Schlamm. Dem schenkte er allerdings wenig Beachtung. Seine düsteren Gedanken drehten sich um die bevorstehende Auseinandersetzung mit Sarah.
Immer wieder stellte er sich vor, wie er was zu ihr sagen würde. Er würde ruhig und entschlossen auftreten und kein bisschen nachgeben. Wehe, wenn sie ihn einzuwickeln versuchte! Da würde sie auf Granit beißen!
Er hatte den Wald durchquert und konnte nun das Städtchen liegen sehen – ein Gesprenkel baufälliger hölzerner Gebäude, die sich wie eine Ansammlung rötlicher Giftpilze aus dem Boden erhoben, hastig auf seichtem Grund erbaut, liederlich und schief zu beiden Seiten der verschlammten Straße. Viele von ihnen waren mit Brettern vernagelt oder ihrer Glasfenster beraubt worden. Selbst die noch bewohnten Häuser sahen aus, als würden sie bei heftigem Wind umfallen. Schlimm, dass Varina so versessen darauf ist, hier zu bleiben, grübelte Donovan, während er der letzten Biegung des Pfades folgte. Sarah passt allerdings hierher. Sie kann hier glatt die Königin spielen und dabei auf einem vergoldeten Spucknapf thronen.
Ich werde unsachlich, berief sich Donovan. Das hilft mir nicht weiter. Er wollte kalt und unversöhnlich bleiben und sein Anliegen so vortragen, dass es keinerlei Missverständnisse gab. Er würde gehen und es ihr überlassen, die Konsequenzen zu ziehen. Nichts lag ihm daran, grausam zu sein. Er wollte nur, dass sie verschwand.
Er schritt schneller aus und versuchte die Wut zu unterdrücken, die sich jedes Mal in ihm regte, wenn er an sie dachte. Die lustige Lügnerin Lydia – die Heimtücke in Person –, sogar letzte Nacht …
Ach, das zählte nicht. Die spröde, schüchterne Sarah hatte ihm gefallen. Doch sie war nur vorgespielt, also ein Fantom, eine Erfindung von Lydia Taggert. Wer war diese Frau eigentlich?
Er hatte die ersten Häuser des Ortes erreicht, verringerte das Tempo und bemühte sich um Ruhe, indem er die Häuser, an denen er vorbeiging, betrachtete. Das einstöckige Hotel war schon vor Jahren aufgegeben worden. Die grüne verblichene Farbe blätterte wie Haut nach einem Sonnenbrand ab. Das Büro für Gesteinsproben hatte geschlossen. Von Varina wusste er, dass der Ladeninhaber Satterlee bei den wenigen Funden als Prüfer fungierte. Der Friseur öffnete nur mittwochs und samstags. Er war auch noch als Leichenbestatter beschäftigt und richtete gelegentlich Knochenbrüche. Sarah versorgte die wenigen
Weitere Kostenlose Bücher