HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
fast spindeldürre Ärmchen und Beinchen. Es war ein winziges mageres Geschöpf mit einem Gnomengesicht und einem Büschel hellbrauner Haare. Aber es schrie lustvoll an Sarahs Schulter, und mit dem rosigen Mündchen suchte es nach der Nahrungsquelle.
Sarah nahm sich einige Sekunden Zeit, es zu liebkosen und seine kätzchenhafte Zartheit zu genießen, die kleinen Hände, mit denen es sich festklammerte, und den wunderbaren Geruch der Neugeborenen. Seufzend wandte sie sich dann wieder der aufgelösten Betsy Mae zu.
„Diese kleine Lady hat nicht viel herzuzeigen. Aber sie scheint gesund sein. Auf jeden Fall hat sie kräftige, starke Lungen. Kannst du sie anlegen?“
„Gib sie nur her.“ Mit müdem Lächeln streckte Betsy die Arme aus. „Ich kann es kaum glauben, dass sie nun da ist. Was hätten wir ohne dich gemacht, Sarah?“
Sarah reichte das Würmchen weiter, wobei sich prompt der leichte Schmerz einstellte, den sie nur zu gut kannte. Babys waren eine kostbare Sache, sie würde leider niemals welche haben.
Betsy öffnete ihr Nachthemd und reichte dem sich windenden Kind eine ihrer geschwollenen Brüste. Aus Erfahrung geschickt, strich sie mit der Brustspitze über die seidigen Lippen, woraufhin die sich instinktiv darum schlossen und die Kleine zu saugen begann. Das kleine Dingelchen zitterte zufrieden, als die warme Nahrung floss.
Sarah sank gegen die rohe Wand, immer noch war ihre Kleidung nass. Nachdem die Arbeit getan war, merkte sie erst, wie erschöpft sie war … und wie sehr sie fror. Sie konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Langsam dämmerte ihr, dass sie schleunigst nach Hause reiten, sich die nasse Kleidung vom Leib reißen und sich ins warme Bett legen sollte.
Ein tiefes Schnarchen war von der Lagerstatt auf dem Boden zu vernehmen, wo Myles und sein Sohn in den Schlummer gefallen waren, nachdem das Kleine geboren war. Sonst war nur dessen Nuckeln zu hören.
„Du siehst ganz erschöpft aus, Sarah“, meinte Betsy Mae sanft. „Geh nach Hause, und ruhe dich aus. Uns geht es gut. Wenn irgendetwas ist, wecke ich Myles.“
Sarah nickte, zum Sprechen fehlte ihr die Kraft. Der Mantel war vom Bach fortgeschwemmt worden, und diese arme Familie besaß nichts Warmes, was sie ihr hätte leihen können. Sie konnte nur hoffen, dass es zu regnen aufgehört und die Strömung des Baches sich verringert hatte.
Leise schlüpfte sie zur Tür hinaus. Ihr Maultier fand sie im Anbau der Hütte, wo es an einem Büschel Heu fraß. Mit letzter Kraft kletterte Sarah in den Sattel, überließ es dem Tier, sich seinen Weg selbst zu suchen, und sackte über dessen stämmigem Hals in sich zusammen, um ein bisschen zu schlummern. Wenn er auch recht störrisch war – sie konnte sich immer darauf verlassen, dass Nebukadnezar den Weg nach Hause fand.
Über den Morgenhimmel zogen Wolken. Es hatte zu regnen aufgehört, doch von den frisch begrünten Espen tropfte es auf Sarah herunter, sodass sie bald wieder durchnässt war. Auf ihren erhitzten Wangen fühlten sich die Tropfen wie Eis an. Aber müde, wie sie war, kümmerte es sie nicht.
Ein plötzliches Taumeln von Nebukadnezar und das Rauschen des Baches zeigten ihr, dass sie durch die Furt wateten. Sarah hing am Hals des Maultieres, ihre Füße wurden vom Wasser umspült. Wenn sie jetzt hineinfiel, würde sie ertrinken. Die Kraft zum Schwimmen hatte sie nicht mehr.
Das Maultier kam aber sicher am anderen Ufer hoch und trottete zur Hauptstraße. Als Nächstes bemerkte Sarah, dass sie vor dem heimatlichen Stall standen, wo das hungrige Tier ungeduldig Einlass forderte.
Erschöpft zwang sich Sarah dazu, abzusatteln, das Maultier abzureiben und ihm Hafer zum Fressen zu geben. Nebukadnezar hatte ihr letzte Nacht das Leben gerettet, das war das Mindeste, was sie jetzt für ihn tun konnte.
Als das fertig war, schwankte sie aus dem Stall. Der Himmel hatte die Farbe von unpoliertem Zinn und war bleich im Osten, wo bald die Sonne aufgehen würde. Die Vögel waren schon wach. Normalerweise liebte Sarah ihren Gesang, doch an diesem Morgen schrillte ihr das Konzert nur in den Ohren. Ihr Gesicht brannte in der Morgenkühle.
Die Treppe zu ihrer Wohnung lag wie ein Berghang vor ihr. Am Geländer zog sie sich hoch. Dabei schien sich die Erde unter ihr zu drehen, lieber sah sie nicht hinunter.
Zuletzt schaffte sie es bis zur Tür. Irgendwie bekam sie sie auf und schloss sie wieder hinter sich. Wie eine Betrunkene torkelte sie durch den Klassenraum und erreichte das
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