HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
begeben, falls der junge Master noch einen Wunsch hatte. Abraham hatte an die Tür der Bibliothek geklopft, um sich zu erkundigen, ob er Wayne eine Erfrischung bringen sollte. Da niemand antwortete, war er eingetreten. Er sah, wie Wayne hastig ein zweites Journal in einem Stoß Papiere versteckte.
Zwei Bücher! Eins für seinen Vater und eins für Wayne, dachte Rafe. Offenbar hatte Wayne nicht bemerkt, dass der alte Sklave das zweite Journal gesehen hatte, denn sonst hätte er ihn längst aus dem Weg geräumt.
Rafe musste unbedingt das zweite Buch finden.
Er verließ das Speisezimmer, noch bevor der Nachtisch serviert wurde, ging auf die Veranda und zündete sich eine Zigarre an. An einen Pfeiler gelehnt, dachte er nach. Abraham hatte sicher recht. Nach außen hin gab Wayne dem Vater keinen Anlass, sich zu beschweren oder ihm genau auf die Finger zu sehen. Im Geheimen jedoch betrog und hinterging er ihn nach Strich und Faden. Wo aber bewahrte sein Bruder die Zweitversion des Journals auf? Bestimmt nicht in der Bibliothek. Sein Vater war eine Leseratte und verbrachte viele Stunden in diesem Raum. Da hätte er sie leicht gefunden. Er bezweifelte auch, dass Wayne sie in seinem eigenen Zimmer versteckt hatte. Nein, es gab nur einen Ort: die Geheimkammer!
Neben dem Salon befand sich ein kleiner Raum, das „Sonnenzimmer“. Seine Mutter hatte es eingerichtet und viele Nachmittage dort mit Briefeschreiben oder Handarbeiten verbracht, weil sie dort die Nachmittagssonne genießen konnte. Nach ihrem Tod war nichts verändert worden. Das Sofa stand immer noch am selben Platz, daneben der kleine Tisch mit den schönen Intarsien, den sie bei einer ihrer seltenen Besuche in Charleston gekauft hatte. Die beiden Ölgemälde an der Wand waren ein Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern. Wie froh war Rafe gewesen, dass die zweite Mrs. Amberville das Sonnenzimmer nicht gemocht und daher alles unberührt gelassen hatte. Wie langweilig, hatte sie nur bemerkt. Das übrige Haus hatte sie völlig umgemodelt. Sie hätte sich auch am Allerheiligsten, dem Zimmer seiner toten Mutter, vergriffen, wenn er nicht mit schrecklichen Folgen gedroht hätte, wenn das geschähe. Er war bereit gewesen, alles niederzubrennen, falls sie auch nur einen Fuß über die Schwelle setzte.
Unter einem Gemälde hing ein Stickmustertuch im Holzrahmen. Rafe strich auf der rechten Seite hinab, bis er eine der Quasten in die Finger bekam. Ein kurzer Ruck, dann glitt ein Stück der Wand zurück und gab den Eingang zu einem Gang frei, der so niedrig war, dass Rafe den Kopf einziehen musste. Er runzelte die Stirn. Soweit er wusste, war dieser Geheimgang seit zehn Jahren nicht mehr benutzt worden. Trotzdem hatte sich die Tür vollkommen geräuschlos geöffnet.
Er tastete in der Dunkelheit umher. Dann roch er an den Fingern. Ja, das war Öl. Er hatte recht! Wayne benutzte dieses Versteck. Schnell unterdrückte er das Hochgefühl des Erfolges. Er musste sehr vorsichtig sein, wenn er den Plan ausführen wollte, der sich in seinem Kopf formte: Er wollte seinem Bruder alles wegnehmen, was dieser unrechtmäßig an sich gerissen hatte, verhindern, dass er den davongejagten Aufseher wieder einstellte, und so die Sicherheit von Wildwood garantieren, bis er selbst aus dem Krieg zurückkehrte.
Rafe riss ein Streichholz an. Im Lichtschein fand er die Fackel, die immer innen neben der Tür lag. Kaum hatte er sie entzündet, war ein Stück des Ganges hell erleuchtet. Seine Mutter hatte ihm von seinem Urgroßvater erzählt, der dieses Haus für seine Braut bauen ließ. Er war früher Freibeuter mit Kaperbrief gewesen, der stolz unter der Flagge seines Heimatlands England gesegelt war. Allerdings hatte er der Flagge nicht immer nur Ehre gemacht, war aber von den Kaperprisen sehr reich geworden. Dann hatte er das Piratenleben aufgegeben und eine junge Frau auf diese Plantage geführt. Schon bald hatte ihn das Leben als ehrlicher Plantagenbesitzer gelangweilt, sodass er angefangen hatte zu schmuggeln.
Der enge, dunkle Tunnel vor Rafe führte in die Sümpfe zu einer Hütte, welche die Neger benutzten, wenn sie die Reisfelder bestellten. Niemand wusste, was nachts auf diesen Wasserstraßen durch die Sümpfe transportiert wurde.
Als Junge hatte Rafe oft diesen Geheimgang benutzt, um das Haus ungesehen zu verlassen und morgens auf demselben Weg wieder heimzukommen. Auch Wayne war durch diesen Tunnel gegangen, wenn er bestimmte Damen in der Stadt besuchte, die sein Vater nicht schätzte. Und
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