HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
schien überrascht zu sein, als sei er nicht an eine derartige Höflichkeit gewöhnt. Shanna war in einem Haus groß geworden, wo die farbige Dienerschaft eher wie Familienmitglieder als wie Sklaven behandelt wurde. Darauf hatte ihre Mutter bestanden. Ihr Vater war zwar mit dieser Behandlung nicht ganz einverstanden gewesen, hatte sich aber den Wünschen seiner Frau gebeugt, die den Haushalt fest, indes ohne Peitsche oder harte Worte, gelenkt hatte.
Shanna dachte zurück, wie ihre Mutter trotz ihrer stillen Art über eine Stärke verfügt hatte, welche sie alle Situationen hatte ertragen lassen, selbst, als sie das letzte Lebensjahr krank im Bett verbringen musste. Niemals hatte sie geklagt. Niemals hatten die Diener ihre Schwäche ausgenützt. Als Shanna später die Pflichten der Hausfrau übernommen hatte, erwiesen ihr alle ebenso großen Respekt und die gleiche Rücksicht wie der alten Herrin.
Plötzlich donnerten Hufe auf der Koppel rechts von ihr. Sie sah gerade noch einen prächtigen schwarzen Hengst über den Zaun setzen und am Haus vorbeipreschen. Ein Mann mit einem harten gebräunten Gesicht hatte kurz zu ihr herübergeschaut. Dann waren Ross und Reiter unter den Bäumen verschwunden.
Erst nach mehreren Minuten wurde ihr klar, dass sie dieses Gesicht kannte. Allerdings waren Kinn und Wangen bei ihrer letzten Begegnung von Bartstoppeln bedeckt gewesen.
Das Frühstück erwies sich als zu reichlich, wie sie gleich gewusst hatte. Mit Bedauern betrachtete sie die beiden Scheiben Schinken und das frische Butterhörnchen, die sie nicht angerührt hatte. Dann schob sie die Teller beiseite. Vielleicht würde sie nachher zu den Stallungen hinübergehen und die Pferde inspizieren. Wenn Rafe Ambervilles Pferd ein gutes Beispiel war, gab es herrliche Tiere.
Morgen werde ich ausreiten, dachte sie. Schritt für Schritt würde sie wieder zu Kräften kommen und dann mit Tante Lea nach Savannah fahren, um den Rechtsanwalt aufzusuchen, den Alexander Amberville damit betraut hatte, sich um alle bürokratischen Angelegenheiten nach dem Tod ihres Vaters zu kümmern. Nach dem Tod der Mutter hatte sie eine stolze Summe Geld und kostbaren Schmuck geerbt. Jetzt war ihr Erbe noch gewachsen – da war das Haus in New Orleans, welches im Augenblick die Yankees besetzt hatten, und die Plantage in Baton Rouge, welche verlassen den Unbillen der Witterung ausgesetzt war.
„Wenn Sie den Teller so in die Küche zurückschicken, wird Hannah tödlich beleidigt sein“, sagte eine Stimme so nah, dass sie zusammenzuckte. Dann ließ sich der Hüne mit den durchdringenden blauen Augen ihr gegenüber in einen Sessel fallen. „Ich wollte Sie nicht in Panik versetzen. Wenn Sie keinen Hunger haben, helfe ich Ihnen.“
Dann legte Rafe Amberville den Schinken auf zwei Scheiben Weißbrot und biss herzhaft hinein. Shanna erkannte in ihm den ungepflegten Soldaten kaum wieder, dem sie vor wenigen Stunden begegnet war. Obwohl er jetzt glatt rasiert war, konnte sie sein Alter schlecht schätzen. Er mochte achtundzwanzig oder dreißig sein. Das blonde Haar war von der Sonne ausgebleicht. Es war dicht und kräuselte sich leicht im Nacken. Rafe trug ein frisches weißes Hemd, das am Hals offen stand. Die Ärmel waren über die dunkelbraunen Arme hochgerollt. Die Hosenbeine steckten in offenbar neuen, glänzend polierten Stiefeln. Er sah jeder Zoll wie ein Gentleman aus. Trotzdem spürte Shanna bei seinem Anblick eine Unruhe, die sie sich nicht erklären konnte.
Sie wünschte sich sehnlichst, seine Fähigkeit zu haben, so schnell wieder zu Kräften zu kommen. Jetzt sah er so gesund aus, nicht wie in der Nacht …
„Ich hoffe, Sie haben mir vergeben, dass ich vorige Nacht bei Ihnen eingedrungen bin.“ Er nahm sich noch eine Scheibe Brot und streckte die langen Beine aus.
„Sie konnten ja nicht wissen, dass man mir Ihre Suite gegeben hatte. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, erwiderte Shanna höflich. „Ich lasse meine Sachen von Hannah in einer Stunde wegbringen.“
„Das werden Sie auf keinen Fall tun! Wir haben so viele Zimmer. Da kann ich mir ein anderes aussuchen. Außerdem bleibe ich nicht lange, vielleicht ein paar Tage. Dann bekomme ich neue Befehle. Aber Sie bleiben doch viel länger hier, nicht wahr, Miss de Lancel?“
„Ich bin erstaunt, dass Sie sich an meinen Namen erinnern können.“ Die Worte waren ihr herausgeschlüpft.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Der Whiskey dämpft den Schmerz meiner Gedanken, nicht aber
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