HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
vorstellen.“
Dieser Vorschlag sagte Lilly zu. Sie hatte den Eindruck, sich in einem Traum zu befinden, aus dem sie nicht aufzuwachen vermochte. Der Schmutz an ihrem Handschuh und die Hitze, die sie in ihrem Gesicht verspürte, sprachen allerdings dafür, dass sie sich durchaus in der Wirklichkeit befand.
Dennoch erschien ihr der Nachmittag wie ein unfassbarer Traum. Sie hatte nicht nur im richtigen Moment Hilfe bekommen, sondern der Mann, der sie beschützt hatte, sah auch noch in verwirrender Weise gut aus – ganz so, wie es sich für einen Helden aus einer Sage gehörte. Lilly führte die Tatsache, dass sie für einige Augenblicke beinahe Belles schrecklichen Tod vergessen hatte, allerdings auf ihre eigene Unerfahrenheit im Umgang mit Männern zurück. Eine erfahrenere Frau würde seinen Charme und seine verführerische Ausstrahlung vermutlich gar nicht wahrnehmen.
Natürlich gab es wohl kaum eine erfahrenere Frau als Hannah McMillan, und gerade sie war zu der verblüffenden Schlussfolgerung gekommen, dass Lilly Mr. Galloways Braut sei. Der Gedanke ließ ihre Wangen von Neuem erröten.
Um sich abzulenken und um weder an ihren Retter noch an den schrecklichen Mord denken zu müssen, stellte Lilly die beiden Taschen ab, faltete die Hände im Schoß und blickte sich im Zimmer um.
Das verkommene Äußere des Hauses hatte sie nicht auf die Oase vorbereitet, die Mrs. McMillan hier geschaffen hatte. Die Wände waren mit einer geschmackvollen Tapete in weichem Grün tapeziert. Roséfarbene Damastvorhänge hingen an dem hohen, schmalen Fenster, und auf dem Boden lag ein orientalischer Teppich in dezenten grünen und sandfarbenen Tönen. Das Zimmer war so vollgestellt, dass Hannah kaum Platz hatte, um sich zwischen den Möbeln hin und her zu bewegen, doch sie tat es mit einer Anmut, um die Lillys Schwester Vinia sie beneidet hätte.
Die Möbel waren zierlich und hübsch und zeigten alle die gleichen Schnitzarbeiten als Zierborten. Ein kleiner Ofen war so gestellt, dass er sowohl das Wohnzimmer als auch das dahinterliegende Schlafzimmer wärmte. Wie bei Lilly zu Hause befand sich zwischen dem Sofa, zwei Stühlen mit hohen Lehnen und einem bequem wirkenden Sessel ein kleiner Tisch für die Teetassen.
Sie ließ den Blick zu der Kommode schweifen, auf der sie zu ihrer Freude statt Nippes gerahmte Fotografien entdeckte. Darüber hing ein Gemälde von Hannah in jüngeren Jahren, wie sie in einem goldfarbenen Kleid auf einer Chaiselongue lag. Doch bevor sie das Bild genauer betrachten konnte, wurde die Tür geöffnet, und der geheimnisvolle Mr. Galloway trat ins Zimmer.
Sie hatte ihn noch nicht erwartet, da sie die Dielenbretter draußen vor der Tür nicht hatte knarzen hören. Er kam ihr sogleich noch mysteriöser vor, denn es war ihr schleierhaft, wie er das geschafft hatte.
„Madam“, sagte er, und für einen kurzen Moment ließ er den Blick über sie gleiten.
Lilly spürte, wie sie sich vor Aufregung anspannte. Als er lächelte, zweifelte sie nicht daran, dass er sich über sie lustig machte. Denn sie saß kerzengerade am äußersten Rand des Sofas und schaute vermutlich wie eine verängstigte Katze drein, die sich gerade den besten Fluchtweg überlegte.
Galloway richtete vorsichtig ihre Kamera auf. „Falls Otis Ihren seltsamen Freund trifft, während er draußen ist, hat er mir versprochen, sich begriffsstutzig zu stellen“, erklärte er.
Begriffsstutzig. Genauso fühlte sie sich augenblicklich, und das kam nicht nur von ihrem entsetzlichen Erlebnis. „Sie müssen mir sagen, wie viel Sie Otis gezahlt haben, damit er alles vergisst“, sagte Lilly. „Ich möchte es Ihnen zurückgeben und …“
Mr. Galloway winkte ab und hängte seinen Hut an eine Stuhllehne. „Nicht der Rede wert. Es war mir ein Vergnügen, Ihnen behilflich zu sein.“
Sie wusste, dass sie sein Angebot eigentlich nicht annehmen sollte. Aber da sie gar nicht das Geld hatte, um es ihm tatsächlich zurückzuzahlen, fragte sie sich, was sie nun sagen sollte.
Er fuhr sich durch das Haar. Wenn er es damit glatt streichen wollte, hatte er jedenfalls keinen Erfolg. Die dicken Locken fielen ihm lässig in die Stirn. Er schien sich gar nicht bewusst zu sein, was für eine faszinierend romantische Gestalt er abgab, als er sich gegen die Tür lehnte und zufrieden den gemütlichen Raum in Augenschein nahm. „Es ist schön hier, Hannah“, sagte er schließlich. „Ich hatte Angst, dass du das Geld, das ich dir schickte, am Roulettetisch verspielen
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